Montag 13 Februar 2017, 10:11

Ein Leben als Kommentator: Beruf und Berufung

Sie sehen alles, sie hören alles. Sie haben die verantwortungsvolle Aufgabe, mehr Farbe ins Spiel zu bringen, wenn wir die spannenden Ereignisse auf dem Rasen verfolgen. Jeder von ihnen hat seinen ganz eigenen Stil entwickelt, von überlegt und minimalistisch bis hin zu dramatisch und exaltiert.

Im Laufe der Jahre haben sie unsere Freuden und Sorgen, unsere Hoffnungen und Frustrationen geteilt. Sie waren bei unseren höchsten Höhenflügen und in unseren tiefsten Abgründen an unserer Seite. Sie gehören zum Soundtrack unseres Lebens, ihre Stimmen und Beschreibungen haben sich tief in unser Gedächtnis eingeprägt. Willkommen in der Welt der Fussballkommentatoren.

Für diese Exklusiv-Story sprach FIFA.com anlässlich des Weltradiotages (13. Februar) mit vier Hauptakteuren der Sportberichterstattung, jeder aus einem anderen Land. Wir wollten herausfinden, wie sie "ticken" - und haben uns ihre bemerkenswerten Geschichten angehört.

Da wäre zum einen Luis Omar Tapia, der Spiele in Mexiko und den USA kommentiert und jeweils mit einem Satz beginnt, der mittlerweile Kultstatus erlangt hat. Der zweite Vertreter ist Matías Prats III, ein junger Mann, der in Spanien in die Fußstapfen seines Vaters und seines Großvaters tritt. Außerdem gibt uns der weitgereiste deutsche Sportreporter Béla Réthy interessante Einblicke in seine Arbeit. Er nutzt sein Ansehen, um einen Beitrag zu einer gerechteren Gesellschaft zu leisten. Die letzte im Bunde ist Jacqui Oatley, die erste weibliche Stimme der BBC-Fussballsendung Match of the Day.

Der SloganEine der führenden Kapazitäten der CONCACAF-Region ist der 54-jährige Chilene Luis Omar Tapia, der dafür bekannt ist, dass er seinen Kommentar immer mit ein und demselben Satz beginnt: “Comienzan 90 Minutos del Deporte más Hermoso del Mundo!” ("Jetzt beginnen 90 Minuten der schönsten Sportart der Welt.") Diesen Satz verwendet er seit über 20 Jahren und er verfolgt ihn an allen Ecken und Enden.

"Manchmal sitze ich mit meiner Familie, meiner Frau oder Kollegen beim Essen und plötzlich schallt dieser Spruch vom anderen Ende des Restaurants herüber", erklärt er einst im Gespräch mit FIFA.com. "Aber das macht mir nichts aus."

"Der Satz stammt von meinem Großvater Alamiro. Er weckte mich früher, wenn ich Fussball spielen musste, immer mit den Worten: 'Komm schon Kleiner, es ist Sonntag und du musst die schönste Sportart der Welt betreiben.' Solche Dinge bleiben hängen. Ich habe den Satz leicht abgewandelt und seither immer verwendet."

"Ich empfinde das wirklich so. Da gibt es diesen Zauber, die Vorfreude und die Tatsache, dass ein Augenblick ein ganzes Spiel entscheiden kann. Bei allem Respekt, glaube ich nicht, dass dies auf andere Sportarten auch zutrifft."

Der NachfolgerAuf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans gibt es mit dem 32-jährigen Matías Prats einen weiteren Kommentator, der allen Grund hat, seinem Großvater dankbar zu sein. Er ist bereits der Dritte mit diesem Namen, der bei Rundfunk- und Fernsehübertragungen von sich reden macht. Sein Großvater war während der 1950er und 1960er Jahre im spanischen TV und Radio die Stimme des Fussballs. Er kommentierte zahlreiche Länderspiele sowie Real Madrids fünf Europokalerfolge in Serie (1956 bis 1960).

"Er war ein Pionier, ein Wegbereiter und ein Leitbild für viele Generationen", erklärt sein Enkel, der inzwischen selbst regelmäßig als Kommentator auf Telecinco und Cuatro tätig ist. "Ich kann das sagen, weil er in meinem Journalismus-Studium an der Universität Thema war! Er ging Risiken ein und war der erste, der bestimmte Ausdrücke verwandte, die noch heute beliebt sind. Darauf bin ich ungeheuer stolz."

"Manchmal, höre ich mir mit meinem Vater bei Autofahrten Audioaufnahmen der Kommentare meines Großvaters an. Seine perfekte Ausdrucksweise und Wortwahl ist ein Ohrenschmaus." Matías' Vater, der ebenfalls Matías heißt, ist Nachrichtensprecher bei Antena 3. Das war für das jüngste Familienmitglied zu Beginn seiner Journalistenlaufbahn eine zusätzliche Belastung.

"Anfangs war es schwierig, denselben Namen zu haben , aber inzwischen ist das für mich eher eine Verpflichtung als zusätzlicher Druck", so Prats weiter. "Ich verfüge nicht über das Talent der beiden, aber diesen Mangel versuche ich mit Leidenschaft, Hingabe und Einsatz auszugleichen. Es hat keinen Sinn, mit Großvater konkurrieren zu wollen - er spielt in einer anderen Liga. Aber mein Vater ist ein großes Vorbild und hilft mir sehr."

"Mein Vater hat viel von Großvater gelernt, aber auch durch eigene harte Arbeit. Er hat sein Wissen und die Liebe zum Journalismus an mich weitergegeben. Beide haben mir geraten, den Beruf mit Respekt und Hingabe anzugehen. Es ist eine Berufung."

Der BotschafterEin weiterer Sportjournalist, der sich seiner Verantwortung mehr als bewusst ist, ist der ZDF-Kommentator Béla Réthy, Botschafter der deutschen Initiative Respekt! Kein Platz für Rassismus. "Man hat die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit auf soziale Themen zu lenken, wenn man vor so vielen Leuten spricht und ein gewisses Ansehen genießt", meint er. "Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit sind weltweit zwei der größten Krankheiten der Gesellschaft. Es gibt kaum etwas, was mich persönlich mehr anwidert als eine solche Einstellung. Daher ist es sehr wichtig für mich, meinen Bekanntheitsgrad auf diese Weise zu nutzen - und der Fussball hat die Macht, Dinge zu verändern."

Réthys kulturelle Bestrebungen liegen vermutlich in seiner Lebensgeschichte begründet. Er kam in Wien zur Welt, nachdem seine ungarischen Eltern zuvor aufgrund des Ungarischen Volksaufstandes aus ihrer Heimat geflüchtet waren. Nur wenige Wochen nach seiner Geburt zog die Familie ins brasilianische São Paulo. Dort verbrachte er seine Kindheit. Als er zwölf Jahre alt war, siedelte die Familie nach Deutschland um, wo er seither lebt. Aufgrund seines Hintergrunds spricht Réthy Deutsch, Ungarisch und Portugiesisch, hinzu kommen Englisch, Französisch und Spanisch.

"Ich habe mal ein Spiel auf Portugiesisch kommentiert, aber das war eher ein Gag", meint er lächelnd. "Bei der WM 1986 in Mexiko wurde ich bei einem Deutschland-Spiel von einem kleinen privaten Radiosender als Co-Kommentator eingesetzt. Die waren noch nicht mal im Stadion vertreten, sondern sendeten aus einem Hotelzimmer. Sie hatten einen Toningenieur, der eine Stadionatmosphäre einspielte. Ich saß derweil in Badehose auf dem Bett und die Bezahlung war eine Flasche Tequila! Das hat wirklich Spaß gemacht!"

Die WegbereiterinWährend Réthy diese Erfahrung sicher nie vergessen wird, hat sich ein 1:1-Unentschieden zwischen dem FC Fulham und den Blackburn Rovers für immer ins Gedächtnis von Jacqui Oatley eingegraben. Das war die Partie, bei der in der legendären BBC-Fussballsendung Match of the Day - damals in ihrem 43. Jahr - zum ersten Mal eine weibliche Kommentatorenstimme zu hören war.

"Das war eine tolle Erfahrung und eine Ehre. Ich wusste natürlich, dass es hochgezogene Augenbrauen und Kommentare von einigen Leuten geben würde, hoffte allerdings, dass dies erst nach der Veranstaltung der Fall sein würde. Aber ich hatte das Pech, dass die Nachricht am Dienstag vor dem Spiel in einer nationalen Zeitung erschien. Dann gab es einen Schneeballeffekt, so dass die 'Story' bis Freitag Titel- und Rückseiten zierte. Ich wollte mich einfach nur in Ruhe vorbereiten und den Kommentar selbst so gut wie möglich hinbekommen, aber mein Telefon klingelte unablässig."

Die Sache wurde für Oatley auch dadurch nicht einfacher, dass ein ehemaliger Premier-League-Trainer erklärte, er sei ganz und gar gegen diese Idee und glaube, sie habe "noch nie im Leben gegen einen Ball getreten". Da lag er allerdings vollkommen falsch. Oatley war nämlich bis zu ihrem 27. Lebensjahr eine talentierte Amateurfussballerin gewesen. Dann erlitt sie eine schwere Knieverletzung und musste ihre Karriere beenden. Im Anschluss widmete sie sich dem Journalismus, übernachtete bei Freunden auf dem Fußboden und wartete auf ihre große Chance. Gleichzeitig absolvierte sie eine Trainerausbildung.

"Wenn ich es geschafft habe, die Sache für die nächste Person etwas einfacher zu machen, dann freue ich mich darüber", fährt sie fort. "Es wäre schade, wenn ich all diesen Druck umsonst ausgehalten hätte. Die Erste zu sein ist eine Belastung. Das hat viel Aufsehen erregt. Aber in Zukunft wird es hoffentlich kein solches Problem mehr sein, wenn eine Frau als Kommentatorin fungiert."

Die ZukunftZum Abschluss wollen wir noch auf diejenigen eingehen, die in die Fußstapfen von Tapia, Prats, Réthy und Oatley treten möchten. "Um Kommentator zu werden, ist eine Menge harter Arbeit erforderlich", so Oatley. "Leute, die diesen Beruf ergreifen möchten, sollten nicht erwarten, dass ihnen jemand einen Gefallen tut, ihre Kontaktliste kontinuierlich ausbauen, bereit sein, ganz unten anzufangen, sieben Tage die Woche zu arbeiten, umzuziehen und umsonst zu arbeiten! In deiner Freizeit musst du üben, Werbung in eigener Sache machen, ehrliche Meinungen einholen, Profis zur Hand gehen. Zielstrebigkeit und das Sammeln von Erfahrungen sind der Schlüssel zum Erfolg."