Mit dem Spiel um Platz drei am Samstag und dem Finale zwischen Argentinien und Frankreich am Sonntag fällt der letzte Vorhang für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Katar 2022™. Noch vor den letzten Entscheidungen auf dem Spielfeld hat die Technische Studiengruppe der FIFA (TSG) auf einer Pressekonferenz in Doha ihre Einschätzungen zum Turnier bekanntgegeben.
Arsène Wenger, FIFA-Direktor für globale Fußballförderung, präsentierte zusammen mit dem ehemaligen deutschen Nationalstürmer und DFB- sowie- US-Auswahltrainer Jürgen Klinsmann die Beobachtungen der TSG und deren Blick auf den Weg der beiden Finalisten ins Endspiel.
"Qualitativ war es ein außergewöhnliches Turnier. Die WM hat insgesamt sehr interessante und vielversprechende Erkenntnisse gebracht", sagte Wenger zum Auftakt.
Klinsmann ergänzte: "Es war ein wunderbares Erlebnis. Die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2022™ war perfekt organisiert. Wenn man die Möglichkeit hat, allen Stadien so nah zu sein, ist das natürlich etwas Besonderes. Für uns war es daher eine intensive Zeit. Wir möchten nun einen Einblick in die Trends geben, die wir in den letzten dreieinhalb Wochen hier in Katar beobachtet haben. Sie sollen den Nationalverbänden in aller Welt als Gedankenanstoß dienen, worauf man in Zukunft achten sollte."
FIFA.com beleuchtet im Folgenden einige wichtige Erkenntnisse, die von den Experten bei der Pressekonferenz vorgestellt wurden. Im nachstehend verlinkten Video ist die gesamte Presseveranstaltung abrufbar.
Mittelfeldblock und Kompaktheit
Arsène Wenger: "Im Vergleich zu 2018 konnten wir insgesamt beobachten, dass Mittelfeldblocks und Kompaktheit in zentralen Bereichen zu einem dominanten taktischen Mittel geworden sind. Das kann zum einen daran liegen, dass die Abwehrlinien etwas weiter nach vorn gerückt sind, zum anderen kann aber auch die zunehmende Bedeutung einer kompakteren Verteidigung eine Rolle gespielt haben."
Tore durch Hereingaben
Zwar gab es weniger Flanken aus dem Spiel heraus (2022 waren es durchschnittlich 13,5 gegenüber 14,3 bei der WM 2018), dafür aber deutlich mehr Tore nach solchen Hereingaben (45 bei der Auflage 2022 gegenüber 24 im Jahr 2018). Das Plus von 21 Treffern bedeutet einen Anstieg um 83 %.
Jürgen Klinsmann: "Wenn die Mannschaften so kompakt im Mittelfeld stehen und intensiv verteidigen, ist es sehr schwer, die Angreifer und Stoßstürmer über die Mitte in Szene zu setzen. Daher weichen die Offensivspieler auf die Flügel aus, um Räume in Nähe der Seitenlinie zu finden und von dort Bälle nach innen zu schlagen. Dann benötigt man aber eine Nummer 9, die diese Bälle verwertet. Dafür braucht es Strafraumspieler mit einer guten Abschlussfähigkeit. Daher ist es kein Wunder, dass Frankreich und Argentinien im Finale stehen – beide haben Akteure in ihren Reihen, die über die Flügel eingeleitete Aktionen erfolgreich zum Abschluss bringen können."
Medienbriefing der Technischen Studiengruppe
Die Bedeutung der Nummer 9
Jürgen Klinsmann: "Meiner Meinung nach wird es bei der Trainerausbildung und Spielerentwicklung in aller Welt wieder darauf ankommen, echte Mittelstürmer mit ausgeprägter Abschlussqualität auszubilden – Spieler, die im Strafraum zuschlagen und sich auf das Wesentliche konzentrieren können. Weiterhin dürfte der Trend auch dahin gehen, nicht mehr nur in den Akademien nach treffsicheren Talenten zu suchen, sondern auch in Ligen rund um den Globus. In Zukunft wird es eine echte Nummer 9 brauchen und diese Position wird nach dieser Weltmeisterschaft sicherlich intensiv diskutiert werden."
Der Weg ins Finale
Arsène Wenger: "Wichtig bei diesem Turnier war, schnell eine ausgewogene Startelf zu finden. Manche Trainer haben sich dabei etwas mehr Zeit gelassen als andere – für einige von ihnen endete dies in einem Fiasko. Frankreich und Argentinien sind für mich zwei Mannschaften, die sehr schnell lernen. Das gilt vor allem für Argentinien, das nach dem ersten Spiel in einer sehr schwierigen Situation war. Es ist nie leicht, nach einer Auftaktniederlage bis ins Finale vorzudringen, doch Argentinien hat es geschafft. Das deutet darauf hin, dass die Mannschaft mental sehr stark ist und dass ihr Trainer mit dem zweiten Match die richtige Balance innerhalb des Teams gefunden hat."
Argentinien v Saudiarabien: Gruppe C - FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Katar 2022
Schlüssel für das Finale
Jürgen Klinsmann: "Im Finale begegnen sich zwei Mannschaften mit ähnlichem Ansatz. Beide haben kein Problem damit, dem Gegner etwas mehr Ballbesitz zu überlassen. Beide reagieren extrem gut darauf, was sich vor ihnen abspielt, um dann explosiv mit ihren hochkarätigen Einzelspielern schnelle Konter zu fahren. Im Endspiel wird es also auf die Qualität ankommen. Bei Frankreich stehen dabei Kylian Mbappé, Ousmane Dembélé oder Antoine Griezmann im Mittelpunkt, bei Argentinien Lionel Messi und der junge Julián Álvarez, der bei diesem Turnier bereits vier Tore erzielt und extrem auf sich aufmerksam gemacht hat. Dabei hätte man ihn wahrscheinlich nicht in der Startelf erwartet, wenn man Leute wie Ángel Di María oder Lautaro Martínez im Kader hat. Wir erwarten daher ein leidenschaftliches Finale, bei dem wir gespannt sind, welche Mannschaft zuerst bereit sein wird, ein wenig mehr Risiko einzugehen."
Arsène Wenger: "Zwei Spieler stehen im Finale besonders im Fokus, da von ihnen außergewöhnliche Leistungen erwartet werden: Mbappé bei Frankreich und natürlich Messi bei Argentinien. Von ihm wird mehr denn je das Besondere erwartet. Doch zwei andere Spieler beider Teams waren im bisherigen Turnierverlauf sehr wichtig: Olivier Giroud, der vor der WM fast schon abgeschrieben war, und Álvarez, der sich während des Turniers seinen festen Platz in der Mannschaft erkämpft hat. Beide haben entscheidend zu den Erfolgen ihrer Teams beigetragen und dürften auch im Finale eine wichtige Rolle spielen, wenngleich sie vor vier Wochen wohl selbst kaum damit gerechnet hätten."