Donnerstag 09 November 2023, 09:30

"Wir müssen damit beginnen, den Menstruationszyklus zu thematisieren und enttabuisieren“

  • Dr. Nonhlanhla Mkumbuzi ist eine von mehr als 20 internationalen Expertinnen, die sich gemeinsam mit der FIFA für die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Leistung von Frauen einsetzen

  • Verschiedene Forschungsprojekte im Rahmen der COSAFA-Frauenmeisterschaft in den letzten vier Jahren

  • „Wenn Betreuer von Spielerinnen keine Ahnung von den Hormonen haben, die Frauen ausmachen, müssen wir etwas ändern – Stichwort Bildung“

Die FIFA-Frauenfussballdivision befasst sich seit zwei Jahren intensiv mit wichtigen Herausforderungen der Frauengesundheit im Sport, um die Beteiligung, die Bildung und die Leistung von Frauen auf eine neue Stufe zu hieven.Im August 2023 präsentierte die FIFA zusammen mit führenden Experten aus aller Welt ein Projekt für die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Leistung von Frauen. Dr. Nonhlanhla Mkumbuzi ist eine der beteiligten Expertinnen. Während der letzten COSAFA-Frauenmeisterschaft in Südafrika sprach sie mit FIFA.com/Inside über eines ihrer laufenden Forschungsprojekte.

Können Sie uns etwas über sich und Ihr Fachgebiet erzählen?

Ich habe an der Universität von Simbabwe Physiotherapie studiert und mich auf Sportphysiologie spezialisiert. Danach habe ich an der Universität von Kapstadt in Sportwissenschaften und Sportmedizin promoviert. Mein Fachgebiet ist die Gesundheit von Sportlerinnen, insbesondere die Schnittstelle zwischen der Biologie von Athletinnen sowie ihres sozio-ökonomischen, religiösen und kulturellen Umfelds.

Bei der COSAFA-Frauenmeisterschaft im Oktober wurden zum vierten Mal Studien zu Frauengesundheit durchgeführt. Wie kam es dazu?

Wir wissen, dass weltweit zu wenig zu Frauen und Mädchen im Sport geforscht wird und die meisten diesbezüglichen Studien aus wohlhabenden Ländern stammen.

Dies ist ein Problem. Wir wissen nicht, was in Frauen vorgeht, und kennen daher auch ihre Bedürfnisse nicht. Wir kopieren und übernehmen einmal mehr Dinge von den Männern.

Mit mehr Sportstudien zu Frauen und Mädchen in Afrika und hoffentlich noch weiteren unterrepräsentierten Regionen können die Entscheidungsträger in 10 bis 15 Jahren hoffentlich fundiertere Entscheidungen fällen.

Es ist ein bisschen wie bei Neil Armstrong. Es ist nur ein kleiner Schritt, aber irgendwo hoffentlich ein grosser Sprung, dem weitere Personen mit ähnlichen Studien folgen werden. Wir leisten einen kleinen Beitrag, der hoffentlich weitere Studien nach sich ziehen wird, die letztlich den Aufbau einer grösseren Forschungsdatenbank ermöglichen.

Können Sie uns mehr über die Breite Ihrer Arbeit erzählen?

Seit 2020 führen wir jedes Jahr eine Studie durch, die sich um Verletzungsüberwachung dreht. Was gibt es für Verletzungen und Erkrankungen? Wie hoch ist deren Zahl? Wie werden sie behandelt? Mit diesen Studien können wir die Merkmale von Verletzungen in unserem Kontext besser verstehen.

Wir versuchen, Verletzungsüberwachungsdaten einzuführen (wie bei der UEFA-Klubstudie in den letzten 20 Jahren) und dann Trends auszumachen. Was sind die häufigsten Verletzungen in unserem Umfeld? Wenn wir dies wissen, können wir Präventionsmassnahmen entwickeln und versuchen, diese Verletzungen einzudämmen. Massgeschneidert auf unser Umfeld sowie die Verletzungen der Spielerinnen.

2020 drehte sich unsere Studie um den Menstruationszyklus sowie die diesbezüglichen Erfahrungen afrikanischer Spielerinnen. Wir hatten so viel darüber gelesen, wie sehr der Menstruationszyklus die Leistung beeinflusst. Es gibt Daten aus Australien und Grossbritannien, aber kaum aus Afrika. Wir wollten herausfinden, was die Spielerinnen für Erfahrungen gemacht haben.

Interessanterweise habe ich bei keiner Studie gelesen, dass zum Beispiel Spielerinnen in der Schweiz keine Binden haben. Gemäss unseren Daten verwenden 35 % der afrikanischen Spielerinnen aber manchmal alte Lappen. Nicht genug Geld zu haben, um sich eine Packung Binden zu kaufen, ist ein echtes Problem.

Wir hatten zuvor schon eine Studie zum Menstruationszyklus und dem damit verbundenen Umgang durchgeführt. Wir müssen damit beginnen, diese Dinge zu thematisieren und zu enttabuisieren.

Die Trainings müssen auf den Menstruationszyklus abgestimmt werden. Wir müssen wissen, in welcher Phase die Spielerinnen sind. Bevor wir Programme zum Menstruationszyklus entwickeln, wollten wir ermitteln, was die Spielerinnen, Trainer und Schiedsrichter wissen. Weniger als 20 % kannten die Hormone des Zyklus. Beim medizinischen Personal war es auch nur die Hälfte.

Wenn Betreuer von Spielerinnen keine Ahnung von den Hormonen haben, die Frauen ausmachen, müssen wir etwas ändern. Das ist Bildung.

Wenn man jemanden weibliche Spielerinnen managen lässt, der nicht weiß, welche Hormone sie zu Frauen machen, dann müssen wir etwas tun, und das ist Bildung.

Dr Nonhlanhla Mkumbuzi

Dieses Jahr wollten wir auch herausfinden, wie sehr das Fussballumfeld auf die Bedürfnisse rund um den Menstruationszyklus eingeht. Wenn es keine Toilette gibt, auf der eine Spielerin den Tampon wechseln kann, oder Wasser zum Händewaschen oder Abfalleimer fehlen, sind davon 30 weitere Personen eines Teams betroffen.

Wir fragten die Spielerinnen: Gab es Wasser zum Händewaschen? Gab es eine abschliessbare Toilette? War eure Privatsphäre geschützt? Konntet ihr Tampons oder Binden in einem geschützten Umfeld wechseln? Die FIFA kann bei all diesen Dingen etwas unternehmen. Und auf nationaler Stufe können die Verbände etwas machen. Dies sind auch Themen, die in die Verhandlungen mit künftigen Sponsoren einfliessen sollten. Möchten Sie ein Frauenteam sponsern? Gut, denn die Spielerinnen benötigen Toiletten und Abfalleimer, um die gebrauchten Binden zu entsorgen. Wieso wir das wissen? Weil wir die Spielerinnen gefragt und sie uns gesagt haben, dass diese Dinge fehlen.

FIFA Women's Football Convention - FIFA Women's World Cup Australia & New Zealand 2023

Welche positiven Beispiele möchten Sie in Bezug auf Frauengesundheit und -forschung erwähnen?

Ich glaube, wir gehen in die richtige Richtung. Ich war kürzlich für eine Physiotherapieschulung in Kenia. Diese war für mich ein Musterbeispiel für den Schutz der Gesundheit von Spielerinnen. Ein Verband und die Frauenfussballdivision haben sich zusammengeschlossen, um Physiotherapeuten und die Personen auszubilden, die Athletinnen betreuen. Es ging darum, die medizinischen Betreuer vorzubereiten und auszubilden, also die Personen, die sich um die Athletinnen kümmern. Ein solcher Schritt ist absolut begrüssenswert.

Der Einfluss des Menstruationszyklus auf die Leistung:

  • 95 % der Spielerinnen leiden täglich unter Menstruationsbeschwerden

  • 1 von 3 Spielerinnen hat ihr Training aufgrund von Symptomen angepasst

  • 66 % haben das Gefühl, dass die Symptome ihre Leistung beeinträchtigen

  • 90 % der Spielerinnen sprechen nicht mit den Trainern über Menstruationsbeschwerden

  • 41 % der Spielerinnen hatten schon einmal starke Blutungen

  • 85 % halten das Wissen über den Menstruationszyklus für unzureichend

  • 42-47,1 % der Sportlerinnen nehmen hormonelle Verhütungsmittel und 45 % nehmen Schmerzmittel gegen Menstruationsbeschwerden