Dienstag 08 März 2016, 15:20

Eine ganz besondere Mutter

Für die meisten von uns ist eine Mutter jemand, der immer für uns da ist, in guten wie in schlechten Zeiten. Für Leonid Slutsky, den Cheftrainer der russischen Nationalmannschaft und von CSKA Moskva, spielte seine Mutter Ludmila sogar eine noch größere Rolle. FIFA.com erzählt anlässlich des Weltfrauentags ihre Geschichte.

Ludmilas Ehemann Viktor Slutsky, ein ehemaliger Boxprofi und Sportlehrer, starb an Lungenkrebs, als Leonid gerade einmal sechs Jahre alt war. Von da an musste die Witwe, die in einem Kindergarten in Volgograd als Erzieherin tätig war, alle widrigen Umstände allein durchstehen.

"Das waren schwere Zeiten", erinnert sie sich in einem Interview mit Welcome2018.com. "Ich musste 120 Rubel pro Monat für eine Genossenschaftswohnung zahlen, obwohl ich nur 95 verdiente. Außerdem erhielt ich eine Witwenrente. Mein Gehalt und dieses Geld reichten gerade aus, um die Miete zu bezahlen. Den Lebensunterhalt mussten wir von der Rente meiner Mutter bestreiten. Ich stand damals früher auf und ging zu Fuß zur Arbeit, um die drei Kopeken für die Straßenbahn zu sparen. Drei Kopeken für die Hinfahrt und weitere drei für die Rückfahrt, so sparte ich jeden Tag sechs Kopeken.

"Ich habe eigentlich Tag und Nacht nur gearbeitet", so Ludmila weiter. "Nachdem ich Leiterin des Kindergartens geworden war, nahm ich einen Zweitjob als Reinigungskraft an und putzte Büroräume. Ich schrubbte die Böden dort erst nach Einbruch der Dunkelheit, weil ich nicht wollte, dass mich jemand sah. Ich schämte mich für diesen Job, aber ich brauchte ihn einfach. Wir hatten einfach nicht genug Geld – nie. Die Lage hat sich dann zwischenzeitlich etwas entspannt, als Lyonya seine Trainerstelle bei Olimpia bekam."

Humor ist entscheidend Der aktuelle Nationaltrainer Russlands entdeckte bereits als Kind seine Vorliebe für den Fussball, obwohl seine Mutter ihn eigentlich eher in die musikalische Richtung lenken wollte. "Ich glaube nicht, dass Lyonya in Bezug auf den Sport von seinem Vater beeinflusst wurde. Viktor hat ihn noch nicht mal zum Boxtraining mitgenommen. Wahrscheinlich liegt ihm der Sport einfach im Blut. Wir haben ihn anfangs auf eine Musikschule geschickt, und er hat es gehasst. Eines Tages sagte er zu mir: 'Mama, du kannst mich meinetwegen umbringen, aber ich werde auf keinen Fall mehr zur Musikschule gehen!' Und dann hat er sich bei einer Fussballmannschaft angemeldet."

Slutskys vielversprechende Torhüterkarriere endete jedoch, bevor sie richtig begonnen hatte, als er sich im Alter von 19 Jahren bei einem Sturz vom Baum eine schwere Verletzung zuzog. Er hatte versucht, die Katze des Nachbarn zu retten. "Meine Mutter rief mich an und sagte, Lyonya sei in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Er war schon im OP, als ich dort ankam. Seine Operation dauerte zwei Stunden. Sie mussten seine Kniescheibe Stück für Stück wieder zusammensetzen", erklärt sie.

"Sein Gesicht... es war kaum noch ein Gesicht zu erkennen. Sein ganzes Gesicht war ein schwarzer Bluterguss, ein riesiges Hämatom, ganz blutig, und seine Nase war gebrochen. Aber es kam für ihn nicht in Frage, den Sport aufzugeben. Er sagte von Beginn an: 'Wenn ich nicht spielen kann, werde ich eben Trainer.' Als er noch die weiterführende Schule besuchte, hat er schon eine Jungenmannschaft zusammengestellt. Ich bin damals für ihn durch die Straßen gelaufen und habe an Laternenpfählen in der Nähe von Schulen Werbeblätter aufgehängt."

Leonid Slutskys Aufstieg war kometenhaft – vom Trainer einer Kindermannschaft zum A-Nationalteam seines Landes. Seine Mutter kennt sein Erfolgsgeheimnis: "Er hat einen guten Sinn für Humor, das war schon mehrmals seine Rettung."

"Die Atmosphäre im Trainingslager ist wirklich gut, es wird viel gescherzt und gelacht. Lyonya hat gesagt, er läuft manchmal rum und singt aus vollem Halse ein Lied. Dann kann es vorkommen, dass er zufällig auf Berezutsky trifft. Berezutsky stimmt dann mit ein und läuft neben ihm her, dann kommt vielleicht noch Ignashevich dazu und dann springt der Funke auch auf die anderen über. Es muss wirklich Spaß machen, in dieser entspannten Atmosphäre zu arbeiten."

Arbeiten unter Hochdruck Der Erfolg hat jedoch auch seinen Preis. Nur Slutskys Mutter weiß, unter welcher Anspannung er steht, sobald sein Team das Spielfeld betritt. "Eines Tages sagte Lyonya: 'Mama, wenn ein Spiel beginnt und ich da rausgehe, dann will ich nur noch, dass es vorbei ist. Sofort. Ich fühle mich dann, als würden an meinen Armen 50-kg-Gewichte hängen, die ich nicht hochheben kann.'"

"Ich glaube nicht, dass er diese Gewichte jemals ablegen wird – wie alt er auch sein oder wie lange seine Karriere dauern mag. Lyonya hat eine Zeit lang einen Psychologen aufgesucht. Der hat ihm erklärt, dass ein Trainer während des Spiels psychologisch unter demselben Druck steht wie ein Bergmann, der drei Tage unter Tage eingeschlossen ist. Was für ein Vergleich! Ich glaube, niemand von uns kann sich das wirklich vorstellen."

Ludmila geht nicht ins Stadion, sondern sieht sich die Spiele Ihres Sohnes lieber zu Hause im Fernsehen an. "Ich gehe nie zum Fussball und habe noch nie ein Stadion betreten. Ich glaube, das würde ich nicht aushalten. Wissen Sie, wie ich im Fernsehen Fussball schaue? Ich stelle den Fernseher stumm, erledige nebenbei meine Hausarbeit und schaue ab und an, wie es gerade steht. Es ist allgemein bekannt, wie nervös ich an Spieltagen werde. Mein Blutdruck schießt in die Höhe… Alle wissen, dass sie mich an diesen Tagen in Ruhe lassen müssen."

Noch ist nicht klar, ob Slutsky bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Russland 2018™ am Ruder sein wird, wenn sein Team nach dem Titel greift. Seine Mutter glaubt jedoch fest an ihn. "Als bekannt wurde, dass Russland die WM 2018 ausrichten würde, sagte ich zu ihm: 'Ich hoffe, wir werden dich noch als Nationaltrainer erleben. Was meinst du, mein Sohn?' Ich glaube nicht, dass Lyonya damals schon* *darüber nachgedacht hat, aber mir ging das sofort durch den Kopf. Es war noch nicht einmal ein Gedanke oder ein Wunsch. Der Satz lag mir einfach auf der Zunge. Ich bin sicher, dass er über alle Voraussetzungen verfügt, um unsere Nationalmannschaft 2018 zum Erfolg zu führen."

"Als Lyonya 2013 zum Trainer des Jahres gewählt wurde, hatte ich nicht das Gefühl, dass ich einen Beitrag dazu geleistet habe, und ich weiß es immer noch nicht", meint sie abschließend. "Doch ich bin stolz auf meinen Sohn und vielleicht auch ein bisschen stolz auf mich selbst. Als er im Fernsehen gesagt hat: 'Dieser Sieg ist für dich, Mama!', bin ich vor Rührung in Tränen ausgebrochen."