Venezuela: Mentoren als Schlüssel zum Glück

Tock, tock, tock - es klopft an der Tür, aber Sie erwarten gar keinen Besuch. Neugierig öffnen Sie. Ein Wildfremder lächelt sie an, lauter Geschenke im Arm. Wenn Sie ehrlich sind, werden Sie jetzt misstrauisch, oder? Da ist doch bestimmt irgendetwas faul. Genau das dachte sich wohl auch die Venezolanerin Sandra Luzardo, als sich Fortuna eines Tages entschloss, ihr einen Spontanbesuch abzustatten.

Zu diesem Zwecke nahm die Glücksgöttin eigens die Gestalt eines venezolanischen Nationalspielers an und genau genommen klopfte sie auch nicht an die Haustür sondern hinterließ ihr eine Nachricht bei Instagram. Sie lautete: "Guten Tag, ich heiße Francisco Pol, ich habe mal für die Vinotinto gespielt und bin heute in der zweiten griechischen Liga aktiv. Ich wäre gern dein Mentor, um dir bei allem zu helfen, was du brauchst." Sandra rieb sich die Augen und fragte sich, ob sie richtig gelesen hatte. Prompt schrieb sie zurück: "Ich kenne dich nicht. Soll das ein Scherz sein?" Vorsichtshalber warf sie einen Blick auf den Kalender, aber es war weder der 1. April noch der 24. Dezember, nicht der Tag der Scherze und nicht der der Bescherung. Ein Telefonanruf beim Pressesprecher der Nationalmannschaft indes bestätigte: Diesen Francisco gibt es wirklich.

Zur selben Zeit bekam auch Dayana Rodriguez über Instagram eine ganz ähnliche Nachricht. Sie stammte von Meche Díaz Albertini, einer in den USA aktiven venezolanischen Fussballerin. "Sie hat mir eine Nachricht geschickt. Daraufhin sind wir ins Gespräch gekommen. Sie erklärte mir, sie wolle mir helfen, damit ich eine bessere Zukunft hätte. Sie sei Venezolanerin wie ich und da es in Venezuela kaum Unterstützung für den Frauenfussball gibt, wolle sie helfen und sich einbringen", erzählt die Mittelfeldspielerin bei FIFA.com.

Arbeit und Opfer Luzardo und Rodrigues sind indes nur zwei von vielen Spielerinnen, die von einem Programm profitieren, das Nationalspieler Christian Santos ins Leben gerufen hat. Der Stürmer von Alavès seinerseits hat die U-20-Abwehrspielerin Barbara Serrano unter seine Fittiche genommen, nachdem diese ihm in einem Brief die schwierigen Bedingungen im Frauenfussball Venezuelas beschrieben hatte. Es fehle an Unterstützung und auch an finanziellen Mitteln, damit die Spielerinnen vom Fussball leben und ihren (männlichen) Idolen nacheifern könnten. Der Brief ließ Santos nicht kalt. Er antwortete, wurde erster Mentor einer venezolanischen Spielerin und hielt seine Mannschaftskameraden bei der Vinotinto an, es ihm gleich zu tun.

Nur wenige Monate später sind Sandra und Dayana beide in Amman. Beide sind glücklich – und das nicht nur wegen des Erreichens des Halbfinales bei der FIFA U-17-Frauen-Weltmeisterschaft Jordanien 2016 sondern auch, weil die Botschaften der Unterstützung ihr Leben verändert haben. "Nachdem ich wusste, dass das ernst gemeint war, haben wir uns unterhalten und uns besser kennen gelernt. Ich habe ihn einige Kleinigkeiten gefragt, er hat alles geduldig beantwortet", erzählt Sandra. Vertrauen entstand. "Nach und nach hat er mir immer mehr Ratschläge gegeben. Da er Fussballer ist wie ich, hat er mich gut verstanden. Er ist immer da, wenn ich ihn brauche. Er hat mir gesagt, ich müsse hart arbeiten, die richtigen Entscheidungen treffen, diszipliniert sein. Er motiviert mich und weist mir den Weg."

Ganz ähnlich gestaltet sich auch das Verhältnis von Dayana zu der Frau, die sie beinahe ehrfürchtig ihre "weise Königin" nennt. "Mir wird die Ehre zuteil, eine Mentorin zu haben. "Meche Díaz Albertini ist die einzige Frau in diesem Kreis und das ist schon etwas Besonderes", erklärt sie stolz. "Sie ermutigt mich, sie gibt mir Tipps. Sie sagt, ich solle niemals aufgeben, weil es eben nicht einfach ist, Erfolg zu haben. Dafür muss man Opfer bringen."

Neben dieser psychologischen Unterstützung im Alltag bekommen die Spielerinnen auch materielle Unterstützung – für die Schützlinge, die oft aus schwierigen Verhältnissen stammen, durchaus mehr als nur nützlich. "Francisco hat mir eine komplette Ausrüstung geschickt: Fussballschuhe, Trikots, T-Shirts und Shorts!" Sandras Gesicht hellt sich immer noch auf, wenn sie von dem Tag erzählt, als in ihrer Heimatstadt Merida ein Paket aus Griechenland ankam. "Als das erste Paket zu Hause ankam, habe ich alles ausgepackt und dann vor Freude geschrieen!", erinnert sie sich und fuchtelt zur Untermalung wild mit den Armen. "Die Fussballschuhe und die Schienbeinschoner, die er mir geschenkt hat, habe ich nach Jordanien mitgenommen. Die hüte ich wie meinen Augapfel!"

"Diese Geschenke sind uns Hilfe und Motivation zugleich, unser Bestes zu geben", fügt Dayana hinzu. Ihre Mentorin schickte ihr Pakete aus Florida in die Provinz Guárico, eine der ärmsten des Landes. Dayanas Reaktion fiel ähnlich aus wie die Sandras. "Denn vielleicht bekommen wir ja noch mehr Geschenke, wenn wir uns weiter so anstrengen", erklärt sie lachend. Zugleich ist sie felsenfest davon überzeugt, dass ihre Mannschaft das Zeug hat, die DVR Korea im Halbfinale zu schlagen und auch den Titel zu holen.

Nicht nur des eigenen Glückes Schmied Damit wäre dann auch der Traum beider Spielerinnen verknüpft. Sie würden nämlich gern ins Ausland wechseln. "Er macht das, wovon ich träume. Er spielt im Ausland und hilft doch auch in der Heimat. So würde ich es auch gern machen: Ins Ausland wechseln und eine andere Kultur kennen lernen", sagt Sandra über ihren Mentor Francisco, während Dayana ihre Mentorin als "jemanden, dem man nacheifert" beschreibt.

Sandra tut es inzwischen sogar schon ihrem Mentor gleich. Sie profitiert nicht nur von willkommener Hilfe, sie gibt ihrerseits auch Hilfe weiter. "In meinem Viertel gibt es unweit meiner Wohnung einen Fussballplatz, auf dem von morgens bis abends Kinder spielen. Den besonders Bedürftigen mache ich nach Möglichkeit immer kleine Geschenke", sagt sie mit einem ansteckenden Lächeln. "Manchmal klopfen sie an und sagen, dass sie einen Ball brauchen. Und immer soll ich mitspielen. Ich versuche zu helfen, wo ich kann. Ich weiß ja selbst, wie das ist, wenn man Geschenke von einem Mentor bekommt. Ich fühle mich jedes Mal genau wie sie. Ich danke meinem Mentor herzlich dafür. Nur wenige nehmen sich die Zeit, sich um andere zu kümmern."

Es mögen wenige sein, aber es gibt sie. Sandra und Dayana können das bestätigen. Wenn es also unverhofft an der Tür klopft, öffnen Sie getrost. Es könnte jemand sein, der nicht nur des eigenen Glückes Schmied sein will.