Mittwoch 09 März 2016, 19:48

Stehende Ovationen für Totti in Madrid

Nein, Francesco Totti hatte zuletzt nichts Außergewöhnliches geleistet, und trotzdem erhoben sich die Zuschauer im legendären Santiago Bernabéu gestern Abend von ihren Sitzen, um dem Italiener bei seiner Einwechslung in der 74. Minute zu applaudieren. 2:0 stand es da bereits für Real Madrid, 0:2 hatte AS Roma auch das Hinspiel zuhause verloren, ein Weiterkommen war außer Reichweite.

Großer Applaus brandete auf, Madrids Marcelo und Casemiro ließen es sich nicht nehmen, Totti persönlich auf dem Platz zu begrüßen. Es war der Respekt vor der sportlichen Lebensleistung des mittlerweile 39-Jährigen, der seine komplette Karriere bei der Roma gespielt hat und selbst in diesem Alter noch in der europäischen Königsklasse und der Serie A aktiv ist. Es war aber auch das feine Gespür des Publikums dafür, dass diese fast einzigartige Spielerkarriere sich nun dem Ende zuneigt, denn Totti hat (wen wundert es?) immer mehr mit Verletzungen zu kämpfen und spielt in den Planungen seines Trainers Luciano Spalletti offensichtlich keine große Rolle mehr. "Er hat den Applaus für seine Karriere verdient", sagte Spalletti nach der Partie. "Das Bernabéu ist ein Stadion, das immer gewusst hat, wie man mit großen Spielern umgeht."

Oft haben Fussball-Fans ein feines Gespür für außergewöhnliche Leistungen bewiesen - auch wenn sie vom Gegner kamen! Totti reiht sich nun ein in eine Reihe mit Spielern wie Alessandro del Piero, Ronaldinho oder Alfredo di Stefano: Sie alle wurden nach einer besonders inspirierten Vorstellung beim Verlassen des Spielfelds als wahre Helden gefeiert. FIFA.com erinnert an die denkwürdigsten stehenden Ovationen der Fussballgeschichte.

Spanien: Rivalität einmal andersWer die verbissene Rivalität zwischen Real Madrid und dem FC Barcelona kennt, kann sich kaum vorstellen, dass die Fans der Katalanen und der Königlichen jemals einer Meinung über einen Akteur gewesen seien. Doch genau dies war bei Laurie Cunningham der Fall. Der erste Engländer in der Geschichte von Real Madrid glänzte in der Saison 1979/80 beim 2:0-Erfolg Reals in der Heimstätte von Barça mit einer außergewöhnlichen Leistung. Als er das Spielfeld verließ, erhob sich das gesamte Camp Nou. Das Publikum im Santiago-Bernabeu-Stadion revanchierte sich zwei Mal dafür.

Drei Jahre später, am 26. Juni 1983, fand im legendären Madrider Fussballtempel das Final-Hinspiel des früheren Ligapokals zwischen diesen beiden Teams statt. Der FC Barcelona lag in der 57. Minute mit einem Treffer in Front, als ein gewisser Diego Maradona eine schier endlose Serie von Dribblings begann. Sie endete erst, als das Spielgerät im Netz der Hausherren zappelte. Die katalanischen Fans bejubelten diesen Geniestreich. Doch die einheimischen Fans applaudierten ebenfalls. Auch im Jahr 2005 ragte im Clásico ein Südamerikaner, der Brasilianer Ronaldinho, ganz besonders heraus. Zunächst täuschte er die gesamte linke Seite der Real-Defensive, um Iker Casillas ein erstes Mal zu bezwingen. Nur wenige Minuten später wiederholte er den Coup. Endstand 3:0 - Madrid musste sich beugen, und seine Fans taten dies auch.

Madrider Publikum verzaubertEs scheint, als ob das Santiago-Bernabeu-Stadion besonders dazu neigt, die Überlegenheit eines Gegners zu würdigen. Wie schon 1952, als Alfredo di Stefano, damals beim kolumbianischen Verein CD Millonarios unter Vertrag, mit seiner Mannschaft anlässlich des 50. Jahrestags des spanischen Hauptstadtklubs in Madrid gastierte. Er erzielte zwei Tore, und sein Klub gewann mit 4:2 - Real und seine Anhänger waren verzaubert. In der Folge unterschrieb er bei den Königlichen und sollte elf Jahre lang zu einer der besten Epochen des Klubs beitragen.

Der niederländische Mittelfeldspieler Gerrie Mühren spielte zwar nie für Madrid, doch auch für ihn erhoben sich die 80.000 Zuschauer im Santiago Bernabeu von ihren Sitzen, als er Ajax Amsterdam mit einer fantastischen Leistung ins Finale des Europapokals der Landesmeister führte.

Die letzte stehende Ovation, die Madrid vor Totti einem gegnerischen Akteur darbot, datiert vom 5. November 2008. An jenem Tag verbuchte der Torjäger von Juventus Turin, Alessandro del Piero, einen Doppelpack auf fremdem Platz, mit dem er in der Gruppenphase der UEFA Champions League das übermächtige Real praktisch im Alleingang bezwang. "Ich habe im Verlauf meiner Karriere viele Sympathiebekundungen erhalten, doch zwei besondere Momente werden mir immer in Erinnerung bleiben: Die Huldigung bei meinem letzten Spiel in Turin und der Applaus im Bernabeu 2008", verriet Il Pinturicchio später. "In solch einem Fussballtempel eine Ovation zu erhalten, ist unbeschreiblich."

England: Im Sinne des FairplayÄhnlich schilderte auch Ronaldo an einem Aprilabend 2003 in Old Trafford seine Gefühle. Der brasilianische Stürmer trug damals das Trikot von Real Madrid. Mit einer Glanzleistung und drei Treffern im "Theatre of Dreams" führte er die Galaktischen ins Halbfinale der UEFA Champions League (6:4 nach Hin- und Rückspiel).* *Die Engländer - ganz im Geiste des Fairplays - huldigten dem Brasilianer, als er in der 67. Minute von Scolari ausgewechselt wurde. "Es war ein magischer Abend, unglaublich. Das Spiel war super, und das Publikum hatte mir persönlich große Anerkennung gezollt. Als ich in der zweiten Halbzeit ausgewechselt wurde, ging ich unter Applaus. Es war ein wunderbarer Tag", sagte der Stürmer später im Gespräch mit FIFA.com.

Bei Arsenal FC scheinen sich die Anhänger weniger für die Qualität einer Leistung, sondern eher für die Rückkehr ihrer einstigen Lieblinge zu erheben. Der Kroate Eduardo hatte nur drei Jahre bei den Gunners verbracht, doch offensichtlich nur gute Erinnerungen hinterlassen. Als er in der Gruppenphase der UEFA Champions League im Trikot von Shakhtar Donetsk wieder in London zu Gast war und für den ukrainischen Klub verkürzte, wurde er gleichwohl von den einheimischen Fans bejubelt. "Ich hatte das Gefühl, dass ich immer noch für Arsenal spiele", verriet er nach der Begegnung.

Auch Thierry Henry, von 1999 bis 2007 ein Gunner, verdiente sich bei seiner Rückkehr anlässlich der Partie zwischen Arsenal und dem FC Barcelona im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League 2009/10 einen solch warmen Empfang. Tosender Applaus brandete auf, als er für Zlatan Ibrahimovic eingewechselt wurde.

Genialität wird belohntLetzterer ist an stehende Ovationen gewöhnt, seitdem er bei Paris Saint-Germain aktiv ist. Nach einem glanzvollen Auftritt mit vier Toren bei RSC Anderlecht in der Gruppenphase der Champions League 2013 wurde der Schwede vom Publikum in Brüssel mit Hochrufen verabschiedet. Wenige Wochen später ein ähnliches Szenario in Brest: Sein Hattrick in der Pokalbegegnung mit dem bretonischen Klub brachte ihm die Bewunderung des Publikums ein. "Die stehende Ovation bei meiner Auswechslung? Das ist nicht schwer, es waren nur 500 auf den Tribünen! Doch ich bin sehr glücklich, wenn die Menschen glücklich sind", sagte er später.

Weit vor seiner Zeit hatte ein gewisser Pelé diese Gabe, die Liebhaber des Fussballs unabhängig von ihrer Nationalität oder Vereinszugehörigkeit zu verzücken. "Es ist unmöglich, dem Genie Pelés nicht zu erliegen", gab der schwedische König Gustav VI. Adolf nach dem Finale der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 1958, das die schwedischen Gastgeber soeben gegen Brasilien verloren hatten, unumwunden zu. Im Verlauf seiner Karriere würde es für Pelé zur Gewohnheit werden, Applaus von den gegnerischen Fans zu erhalten. Wie zum Beispiel 1961 bei Fluminense, als er stehende Ovationen erhielt, nachdem er sechs Gegenspieler stehen gelassen und ins Tor getroffen hatte! Es dauerte fast zwei Minuten, bis das Spiel wiederaufgenommen werden konnte.

Als Iniesta ins Spiel kam...Doch was die Emotionen betrifft, kann kaum etwas mit der 86. Minute des katalanischen Derbys zwischen Espanyol und dem FC Barcelona am 12. Dezember 2010 mithalten. Pep Guardiola, der damalige Trainer der Gäste, entschied sich zu einem letzten Spielerwechsel. Andrès Iniesta machte sich bereit, und in diesem Moment erhob sich das gesamte Stadion Cornellá-El Prat wie ein Mann, um den Akteur zu begrüßen.

Auf diese Weise würdigten die Fans den Spieler, der sein Tor im Finale der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft dem wenige Monate zuvor verstorbenen ehemaligen Verteidiger von Espanyol, Dani Jarque, gewidmet hatte. "Dani Jarque immer bei uns" war damals auf dem T-Shirt des Torschützen gegen die Niederlande zu lesen gewesen.