Als Renato Augusto die offiziellen Trikotnummern für die brasilianische Olympiaauswahl erfuhr, hatte er gleich Grund zum Lachen: Ihm war nämlich die Rückennummer fünf zugewiesen worden.
"Ich habe gleich ein paar Scherze mit den Verteidigern gemacht: Als ich das erste Mal nominiert wurde, habe ich mit der zehn gespielt, dann war es die acht und jetzt habe ich die fünf. Also habe ich warnend gesagt: 'Augen auf, ich komme immer näher!' Aber wichtig ist, dass ich dort helfen kann, wo ich gebraucht werde", so der Spieler im Gespräch mit FIFA.com.
Die Trikotnummer, die im brasilianischen Fussball traditionell dem defensiven Mittelfeldspieler zukommt, wurde ihm nicht aufs Geratewohl zugewiesen. Beim 6:0-Kantersieg im Halbfinale gegen Honduras kam Augusto tatsächlich auf dieser Position zum Einsatz, näher an den Verteidigern als an den Angreifern. Dabei machte er seine Sache ausgesprochen gut, und zwar in vielfacher Hinsicht.
Er gab den Spielrhythmus der Mannschaft vor und brachte Ruhe in die Hintermannschaft. Der Mittelfeldspieler ist eine der tragenden Säulen des Aufschwungs der jungen brasilianischen Auswahl bei diesem Olympischen Fussballturnier. Auf zwei torlose Unentschieden zum Auftakt ließ die Seleção drei deutliche Siege folgen und sicherte sich schließlich den Einzug ins Finale. Hier trifft das Team am Samstag im Maracanã-Stadion auf Deutschland.
Flexibilität als Trumpf Seine Vielseitigkeit zählt zu den großen Stärken von Renato Augusto, doch zunächst mag sein Einsatz auf dieser zurückgezogenen Position für überraschte Gesichter gesorgt haben. Schließlich wurde der Akteur letztes Jahr bei Corinthians São Paulo in der Rolle des Bindeglieds zwischen Mittelfeld und Angriff zum besten Spieler der brasilianischen Meisterschaft gewählt. Dabei bot er eine so überzeugende Leistung, dass er erneut das Interesse europäischer Klubs weckte, bevor er schließlich bei Beijing Guoan in China unterschrieb.
Doch wenn man sich jetzt anschaut, wie er die Bälle verteilt, die Spieleröffnung beschleunigt und seine Defensivaufgaben wahrnimmt, wird schnell klar, warum Rogério Micale, der Trainer der brasilianischen Olympiaauswahl, ihn unbedingt auf dieser Position haben wollte. Zumal auch der auf einer vorgezogeneren Position eingesetzte Walace seine Sache richtig gut macht und insbesondere beim Pressing überzeugt.
"Ein Spieler, der mehrere Funktionen übernehmen kann, ist in der Regel im Vorteil. Vielleicht bin ich auch genau aus diesem Grund nominiert worden, weil ich auf mehreren Positionen eingesetzt werden kann", meint der vielseitige 28-Jährige, der gemeinsam mit dem Torhüter Weverton und Superstar Neymar das Trio der über 23-Jährigen bildet. Dabei spielt es vielleicht auch eine Rolle, dass eine Olympiaauswahl mit einem kleineren Kader auskommen muss, nämlich mit gerade einmal 18 Spielern, davon 16 Feldspieler.
Renato Augusto kommt nicht zum ersten Mal auf dieser defensiven Position zum Einsatz, doch Micale hat ihn auch nicht ausschließlich direkt vor dem eigenen Strafraum eingesetzt. Er hat auch schon als Spielmacher fungiert, laut eigener Aussage seine bevorzugte Rolle. In dieser Saison ist er in China sogar schon als Mittelstürmer zum Einsatz gekommen. "Ich bin nie über einen längeren Zeitraum auf dieser Position geblieben, aber ich habe sie schon mehrmals ausgefüllt. In China bin ich jetzt als hängende Spitze im Einsatz. Nach und nach wachse ich in die Rolle hinein und versuche, jeden Tag etwas dazuzulernen."
Dank an Deutschland Wenn man berücksichtigt, dass der Finalgegner Deutschland heißt, entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass er seine Vielseitigkeit ausgerechnet seinen Erfahrungen in der Bundesliga zu verdanken hat. Nach seinem Durchbruch bei Flamengo Rio de Janeiro spielte er von 2008 bis 2012 für Bayer 04 Leverkusen. "Die Zeit in Deutschland hat mir in dieser Hinsicht sehr geholfen, vor allem mit Blick auf das taktische Verständnis. Ich habe dort viel gelernt und nehme dieses Wissen mit."
Bei den Olympischen Spielen hat Renato Augusto sein Team nicht nur mit seiner Spielintelligenz und seinem Talent unterstützt, sondern auch eine Führungsrolle übernommen. In den schwierigsten Situationen – wie den 180 torlosen Minuten gegen Südafrika und Irak – hat der Mann mit der Rückennummer fünf sich der Kritik gestellt, während die Mannschaft versuchte, in Tritt zu kommen. Seiner Meinung nach war das nicht nur eine Frage der Zeit, sondern es ging vor allem darum, die Nervosität in den Griff zu bekommen.
"Das war psychologisch ein hartes Stück Arbeit. Bei einer so jungen Mannschaft ist es meiner Meinung nach etwas schwieriger, weil einige mit diesem Aspekt noch nicht so gut zurechtkommen. Da muss man manchmal die Verantwortung übernehmen, sich mit ihnen zusammensetzen und ein etwas größeres Päckchen tragen", meint er. "Das habe ich versucht. Weil ich der Älteste bin, habe ich mich bemüht, etwas mehr Ruhe und Gelassenheit ins Team zu bringen. Und tatsächlich läuft es jetzt sehr gut für uns."
Die Seleção geht nach dem 6:0-Sieg im Maracanã mit breiter Brust ins Finale. Doch Renato Augusto warnt: "Noch haben wir nichts gewonnen. Im Fussball gibt es immer wieder Rückschläge. Es ist gut, dass wir gewonnen haben, aber wenn wir am Samstag verlieren, wird all dies vergessen sein." Das sind die Worte eines Spielers, der bereit ist, alles für die Seleção zu geben. Bei Bedarf würde er sogar in der Abwehr auflaufen.