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Freitag 27 Januar 2023, 03:00

Pia und Tracey: eine bereichernde Begegnung

  • Pia Sundhage besuchte Tracey Kevins fünf Tage in Los Angeles

  • Beide sind Teil der zweiten Auflage des FIFA Trainerinnen-Mentorenprogramms

  • Kevins: "Das Programm hat mein Leben verändert."

Als Tracey Kevins – Engländerin und seit 2017 Trainerin des US-amerikanischen U-20-Frauen-Nationalteams – hörte, wer bei der zweiten Auflage des FIFA Trainerinnen-Mentorenprogramms ihre Mentorin sein würde, bekannte sie: "Egal, wem ich zugeteilt worden wäre – ich wäre begeistert gewesen. Aber im Stillen habe ich gehofft, dass es Pia sein würde."

Ihre Begeisterung lässt sich leicht nachvollziehen: Pia Sundhage, zweifache Olympiasiegerin als Coach der USA und heutige Trainerin der brasilianischen Frauen-Nationalmannschaft, ist eine der erfahrensten Trainerinnen der Welt. Außerdem war sie schon bei der ersten Auflage des FIFA Trainerinnen-Mentorenprogramms dabei, das die FIFA 2018 als Teil ihrer Strategie zur Entwicklung des Frauenfussballs ins Leben gerufen hat.

Ghana v USA: Group D - FIFA U-20 Women's World Cup Costa Rica 2022

Rund zehn Monate nach Kevins' denkwürdigem Bekenntnis – und mehreren Online-Meetings – begrüßte Kevins Sundhage persönlich in Los Angeles, wo das U-20-Frauen-Fussballteam ein kurzes Trainingslager absolvierte. Vom 20. - 24. Januar verbrachten Mentorin und Mentee fünf lehrreiche Tage miteinander.

"Es war fantastisch, dass ich die Möglichkeit hatte, am Ende jedes Tages das Training noch einmal Revue passieren zu lassen und Fragen zu bestimmten Einheiten oder Verhaltensweisen zu stellen. Am liebsten hätte ich endlos so weitergemacht [lacht]. Und auch nach Ende des Trainingslagers haben wir uns noch intensiv mit Fragen der Taktik beschäftigt, Videos angesehen, Erfahrungen ausgetauscht. Ich habe unglaublich viel gelernt, und es war einfach großartig", erzählte Kevins.

"Ich war noch nicht in den USA, als Pia hier das Sagen hatte [als Cheftrainerin der US-Frauen]. Aber alle sind bis heute begeistert von ihrer Offenheit und Transparenz - und darüber, wie viel Wissen sie anderen Frauen-Fussballtrainerinnen vermittelt hat. Doch erst, wenn man sie als Mentorin selbst erlebt hat, versteht man das Ausmaß ihres Einflusses. Im Grunde kann ich es kaum in Worte fassen, welche Wirkung diese Erfahrung auf mich hat.

Schließlich habe ich schon einige Kurse absolviert, aber noch nie etwas Vergleichbares." "Es war ein ganz besonderes Vergnügen, an den Ort zurückzukehren, an dem ich 2008 angefangen habe. Eigentlich bin ich also die Glücklichere von uns beiden", meinte Sundhage. "Ich hatte nicht nur die Gelegenheit, wieder einmal nach Los Angeles zu kommen und amerikanische Spielerinnen zu treffen, sondern durfte auch Tracey bei der Arbeit zusehen. Sie ist brillant, und das gab mir die Chance, mich selbst zu hinterfragen. Ich habe viel von ihr gelernt.

Brazil head coach Pia Sundhage during the FIFA Women's World Cup 2023 Final Tournament Draw at Aotea Centre on October 22, 2022 in Auckland,

Offenheit ist einer der Kernpunkte dieses Programms", sagte die 62-jährige Schwedin, die seit Mitte 2019 die brasilianische Frauenfussball-Nationalelf trainiert. "Es geht darum, Türen zu öffnen und Ideen auszutauschen. Und es bleibt einem selbst überlassen, ob man dieses Angebot annimmt oder nicht. Wenn ich Tracey beim Training mit ihrer U-20 zusehe, ist das für mich ein Lernprozess. Ich vergleiche ihre Arbeit mit der Art und Weise, wie ich die Dinge angehe; ich stelle mir selbst Fragen, die mich zu weiteren Fragen führen. Von daher ist der Trainingsbesuch bei ihr eine phänomenale Erfahrung."

Das FIFA Trainerinnen-Mentorenprogramm hat das Ziel, eine neue Generation von Trainerinnen auszubilden und zu fördern, und zwar mithilfe der persönlichen Unterstützung eines erfahrenen Mentors. Aber welche Eigenschaften sind für die Erweiterung der Kenntnisse der Mentees unerlässlich?

"Ich würde es niemals wagen, dies zu verallgemeinern, denn wir alle haben unsere besonderen Eigenschaften", sagt Sundhage. "In meinem Fall sind es drei Dinge. Zum einen kenne ich meine Stärken und Schwächen. Also versuche ich, meine Stärken auszunutzen. Dabei spielt mein Trainerstab eine wichtige Rolle, denn allein wäre ich nutzlos. Zum anderen muss man den Mut haben, 'Ja' zu sagen, Gelegenheiten beim Schopf zu ergreifen. Und zum dritten ist Zuhören von größter Bedeutung. Am Anfang war ich immer diejenige, die geredet hat, und die Spielerinnen haben zugehört. Heute ist das Verhältnis umgekehrt: Ich höre mir an, was sie mir zu sagen haben. Das hat sich als entscheidende Veränderung herausgestellt."

USA v Japan: Group D - FIFA U-20 Women's World Cup Costa Rica 2022

Ein weiterer Punkt der Konversation zwischen beiden war ihre eigene Rolle – als Lehrerin wie als Trainerin. "Fussball ist in erster Linie ein Spiel der Spieler, nicht der Trainer. Darum müssen wir unseren Spielerinnen als Erstes die Frage stellen: 'Was siehst du, und was hältst du davon?' Es ist von größter Wichtigkeit, dass wir ihren Entscheidungsprozess optimieren und daran arbeiten, dass sie sich beim Training mit der Nationalmannschaft selbst verbessern – anstatt die Verpflichtung verspüren, sich beweisen zu müssen", erklärt Kevins.

Kevins war Teil eines historischen Moments: Bei der FIFA U-20-Frauen-Weltmeisterschaft Costa Rica 2022™ gab es erstmals bei einem FIFA-Turnier mehr Trainerinnen als Trainer (nämlich bei neun von sechzehn der teilnehmenden Nationen).

"Zu meinen Anfangszeiten hat man kaum Trainerinnen gesehen, aber das ändert sich glücklicherweise jetzt", erzählt Sundhage. "Ich habe es immer als eine Verschwendung von Wissen bezeichnet, dass so viele legendäre Spielerinnen und Frauen nie die Möglichkeit hatten, zur Weiterentwicklung des Frauenfussballs aktiv beizutragen. Heute, da der Sport einen Boom erlebt, stehen diese Möglichkeiten endlich zur Verfügung. Und es gibt großartige Vorbilder - wie Tracey."

FIFA U-20 Women's World Cup Costa Rica 2022 - Coach Mentorship Programme Workshop

Kevins ist mit ihrer Mentorin einer Meinung: "Der Schlüssel besteht darin, Möglichkeiten zu schaffen und einander zu unterstützen. Als Frauen sind wir mit dem Gedanken aufgewachsen, dass es wahrscheinlich nicht genug Raum für uns alle an der Spitze gibt - aber der Raum ist da. Und das zeigt sich an der neuen Generation von Trainerinnen in aller Welt.

Als wir diese Woche beim Mittagessen saßen, haben wir festgestellt, dass wir zwei Cheftrainerinnen am Tisch hatten, und dass auch die Assistenten und der Torwarttrainer Frauen waren. Ich glaube, dass diese Woche für das ganze Trainerteam viel gebracht hat, weil sie, genau wie ich, mit Pia reden und ihr Fragen stellen konnten."

Zum Abschluss des fünftägigen Trainingslagers baten wir Tracey, ihre Erlebnisse zusammenzufassen. "Die fünf Tage mit Pia waren eine einmalige und einschneidende Erfahrung: Schließlich hat sie alles gesehen und erreicht, was es im Frauenfussball zu erreichen gibt. Außerdem hat sie bereits zum zweiten Mal als Mentorin an diesem Programm teilgenommen, noch dazu in einem Weltmeisterschaftsjahr. Ich kann mich also nur bei ihr und der FIFA bedanken, denn dieses Programm hat mein Leben verändert."