Sonntag 29 Mai 2016, 08:05

Medaillen: Verloren, gefunden, verschenkt, zurückgegeben

Auf der ganzen Welt ist jetzt die Zeit der Trophäen und Medaillen. Die Vereinswettbewerbe sind entschieden, die letzten internationalen Turniere bald auch. Den Gewinnern bleibt neben den unvergesslichen Momenten auch immer ein Erinnerungsstück in Form einer Medaille. Hin und wieder passiert es allerdings, dass das gute Stück eine unerwartete Reise antritt, einen kurzen Umweg macht, lange verschollen bleibt oder gar in den Händen eines ehrfürchtigen Zuschauers landet.

Die gestern Abend in der UEFA Champions League siegreichen Stars von Real Madrid, die folglich bei der FIFA Klub-Weltmeisterschaft auf Auckland City und Club América treffen, sollten also tunlichst darauf aufpassen. Vor vier Jahren etwa war es reines Glück, dass nicht gleich zwei Nationalspieler des FC Bayern München ihre Auszeichnungen in Rekordzeit verloren.

Fernsehaufnahmen zeigen, wie sich in dem Augenblick, da die Trophäe in die Höhe gereckt wird, Mario Mandzukics Medaille vom Band um seinen Hals löst. Nur einer Blitzreaktion von Franck Ribéry war es zu verdanken, dass sie nicht in der Masse der Zuschauer weiter unten verschwand. Jerome Boateng einige Meter daneben hatte – anfangs zumindest – weniger Glück.

"Erst in der Kabine ist mir aufgefallen, dass ich am Band gar keine Medaille mehr trug", so Boateng. "Ich schrie herum: 'Wo ist meine Medaille? Wer hat sie?' Alle blickten mich an. Dann sahen sie das Band ohne Medaille und fingen an zu lachen. 'Such sie halt!', meinten sie."

Doch der wohlmeinende Ratschlag der ausgelassen feiernden Mannschaftskameraden sollte nichts nützen. Boateng gab die Hoffnung auf. Er nahm an, seine Medaille habe das gleiche Schicksal ereilt wie die Mandzukics — wenn auch ohne rettende Geistesgegenwart eines französischen Dribbelkünstlers. Das stimmte zum Glück jedoch nur zur Hälfte. Journalist Nick Zaccardi von Sports Illustrated war auf der Jagd nach Andenken unter dem Konfetti, in dem die Deutschen zuvor die Trophäe geschwenkt hatten, auf die gesuchte Medaille gestoßen. Er stellte einige Nachforschungen an und konnte so Spieler und Medaille wieder vereinen. Unglaublich aber wahr: Ein ganz ähnliches Missgeschick war Boateng schon einmal in seiner Zeit bei Hertha BSC in Berlin passiert. Damals hatte er allerdings nicht so viel Glück gehabt.

Auch Jesper Blomqvist hatte mehr als eine Schrecksekunde zu überstehen, als er 1999 den Gewinn der UEFA Champions League feierte. Seine Medaille war ebenfalls zwischenzeitlich verschwunden. "Ich war erschrocken, habe sie schließlich aber wiedergefunden", berichtet er. Gar auf die Freunde und Helfer zurückgreifen musste Kenny Dalglish während seiner Zeit in Schottland. Die verloren gegangene Medaille fand sich schließlich mit Glück in einem Regenschirm wieder. "Ich habe meine Medaille im Trubel der Feierlichkeiten verloren. Sie muss wohl einfach aus der Schachtel gefallen sein", erinnert sich Dalgish. "Zum Glück hat sie ein Polizist gefunden und zurückgegeben."

Im fernen Südamerika musste Uruguays Legende Enzo Francescoli sogar einmal zusehen, wie ihm sein eigenes Stückchen Fussballgeschichte direkt vor seinen Augen entrissen wurde. Hatte er die Copa Libertadores mit River Plate 1986 noch verpasst, sollte er in Jahrzehnt später endlich den Sieg feiern dürfen. Doch die Freude währte trotzdem nur kurz. Als die Klublegende nämlich die lang ersehnte Trophäe in den Abendhimmel reckte, riss ihm ein Fan die Medaille vom Hals — vor laufenden Kameras.

Glücklicherweise war der Verlust nur von kurzer Dauer. "Alles weinte vor Glück und war ganz aus dem Häuschen, nur ich war mit meinen Gedanken bei meiner Medaille", so der zweimalige Fussballer des Jahres in Südamerika. "Das muss sich wohl rumgesprochen haben, denn als ich zur Kabine gehen wollte, rief jemand vom Eingang des Spielertunnels: 'Ich habe deine Medaille, aber ich will etwas dafür!' Ich konnte es nicht glauben. Ich gab ihm schließlich meine Schienbeinschützer. Etwas anderes hatte ich nicht mehr."

Noch unglaublicher mutet die Geschichte von Carlos Bilardo an. Die argentinische Legende holte sich ihre Medaille für den Gewinn der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 1986 nie ab. Zu tief saß der Ärger über zwei Gegentore nach Eckbällen im Finale. "Ich habe meine WM-Siegermedaille nicht, nur eine für den WM-Zweiten", vertraute er FIFA.com einst an. "Meine Siegermedaille habe ich einem Kollegen aus dem Trainerteam von 1986 gegeben. Heute bedauere ich das durchaus."

Dreißig Jahre später gab auch Daniele De Rossi seine bei der Fussball-Weltmeisterschaft Deutschland 2006 errungene Medaille einem Mannschaftskameraden – auf besonders berührende Weise obendrein. Ein Jahrzehnt nach dem WM-Sieg in Berlin legte er sein kostbares Andenken in den Sarg des unter dem Spitznamen Spazzolino (Polierbürste) bekannt gewordenen ehemaligen italienischen Zeugwarts Pietro Lombardi, der im Alter von 92 Jahren verstorben war. Über die Gründe für diese Geste während der Beerdigung sagte der Ex-Mittelfeldspieler von AS Rom bis heute nichts.

Grundsätzlich erhält jeder Spieler für seine Teilnahme an der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft eine Medaille, so auch der Brasilianer Leonidas, der bei der Turnierauflage 1938 in Frankreich zwar nicht den Titel gewann, mit sieben Toren aber dennoch herausragte. An seinem 100. Geburtstag im Jahr 2013 wollte ihm seine Witwe in besonderer Weise gedenken. "Mir schwebt eine Art Gedenkstätte hier in der Wohnung vor", schrieb sie in einer in São Paulo erscheinenden Zeitung, "ein 'Leonidas-Haus'. Aber mir fehlen die Mittel." Als schon alle Stricke zu reißen drohten, sprang schließlich das FIFA Museum rettend ein. Mit Hilfe eines alten Telefonbuchs konnte die Frau ausfindig gemacht werden, Leonidas‘ Teilnehmermedaille wurde bei einem Besuch persönlich übergeben und hat nun ihren gebührenden Platz unter einigen der größten WM-Andenken aller Zeiten.

Manchmal gelangen Medaillen jedoch auch viel spontaner in die Hände anderer. Das vielleicht bekannteste Beispiel hierfür ist José Mourinho, der seine Meisterschaftsmedaille für den Gewinn der englischen Premier League 2005/06 während der Feier in die jubelnde Menge warf. Doch damit nicht genug: Der Portugiese setzte noch einen drauf. Auch die nächste Medaille warf er ins Publikum. "Die Medaillen waren für alle. Wer sie gefangen hat, hatte einfach Glück", erklärte Mourinho dazu. "Er hat jetzt ein tolles Souvenir. Es sei denn freilich, er versteigert sie für ein Vermögen bei eBay." Versteigert wurden beide Medaillen letztlich sogar tatsächlich, wenn auch nicht bei eBay. Zusammen erbrachten sie einen Erlös von 38.400 britischen Pfund (57.600 Euro).