Dienstag 03 Mai 2016, 07:58

Leicesters Märchen und traumhafte Vorgänger

Es heißt, dass ein Triumph umso schöner ist, wenn er unerwartet kommt. Im Fussball stellt der Gewinn der Meistertrophäe durch einen Klub, der eben erst in die höchste Spielklasse seines Landes aufgestiegen ist, nach wie vor eine außergewöhnliche Leistung dar.

Leicester Citys Titel in der Premier League 2015/16 darf man getrost noch dazu zählen, schließlich waren die Foxes erst 2014 ins englische Oberhaus zurückgekehrt, um am Montagabend, 2. Mai 2016, eines der größten Fussballmärchen der Gegenwart zu schreiben. Die Foxes profitierten dabei von dem 2:2-Unentschieden des direkten Verfolgers Tottenham Hotspurs, der am Montagabend beim FC Chelsea einen 2:0-Führung noch verspielte. Leicester, das am Sonntag bei Rekordchampion Manchester United zu einem 1:1 gekommen war, ist an den letzten beiden Spieltagen nicht mehr von der Spitze zu verdrängen. Der Vorsprung auf Tottenham beträgt sieben Punkte.

Doch nicht nur Jamie Vardy, Robert Huth & Co haben einen besonderen Platz in den Annalen des runden Leders sicher, denn die Statistiken der nationalen Meisterschaften weisen eine ganze Menge solcher Klubs aus, die es als Aufsteiger auf Anhieb zu Meisterehren gebracht haben. FIFA.com hat einige der schönsten davon zusammengestellt.

Überraschungen und RekordeDer erste Titelgewinn von Girondins Bordeaux in der Saison 1949/50 schien für den seinerzeit gerade aus der zweiten Liga aufgestiegen Klub jenseits aller Erwartungen zu liegen, zumal man nach der Hinrunde noch mit sechs Punkten Rückstand hinter Tabellenführer OSC Lille rangierte.

Doch dann verhalf der in der Winterpause verpflichtete Flügelstürmer und Nationalspieler Lambertus De Harder der Mannschaft aus Bordeaux trotzdem noch zu ihrem ersten Meistertitel, denn am Ende waren es die bis dahin favorisierten Nordfranzosen, die mit sechs Zählern Rückstand das Nachsehen hatten.

14 Jahre nach dem Überraschungscoup von Girondins Bordeaux gelang AS Saint-Étienne das gleiche Kunststück. Nachdem sie 1963 als Tabellenerster der zweiten Liga in Frankreichs höchste Spielklasse aufgestiegen waren, wurden die Südfranzosen in der Saison darauf erstmals französischer Meister. Es war der Beginn einer langen Erfolgsserie von bislang zehn Meistertiteln.

Dem damaligen Team gehörte auch ein gewisser Aimé Jacquet an, der die französische Nationalmannschaft 34 Jahre später als Trainer zu ihrem ersten und bisher einzigen WM-Titel führte.

Die von AS Monaco im Jahr 1978 gewonnene Meisterschaft war zwar nicht die erste in der Vereinsgeschichte, gelang aber ebenfalls in der Saison, die auf den Wiederaufstieg des Klubs aus dem Fürstentum unter seinem damaligen Coach Lucien Leduc folgte. Der bis dahin dritte Meistertitel der Monegassen erwies sich für einen jungen Torhüter namens Jean-Luc Ettori als ideales Sprungbrett auf dem Weg zum Stammtorwart. Von da an stand er für AS Monaco in nicht weniger als 604 Erstligaspielen zwischen den Pfosten - ein Rekord, der bis heute Bestand hat!

Er und seine Teamkollegen waren damals die Ersten, die ihrer Überraschung ob des unerwarteten Triumphes freien Lauf ließen, so auch AS-Stürmer Christian Dalge: "An den Titel hatten wir alle nicht gedacht. Vielmehr hatten wir mit einem Platz in der Tabellenmitte gerechnet."

Im gleichen Jahr warf auf der anderen Seite des Ärmelkanals Aufsteiger Nottingham Forest alle Prognosen über den Haufen, als der Klub aus Mittelengland vor Titelverteidiger Liverpool auf Anhieb Meister wurde.

Doch damit nicht genug: Nach dem ersten nationalen Titelgewinn in der Klubgeschichte triumphierte Nottingham Forrest in der darauf folgenden Saison auch im Europapokal der Landesmeister.

Die Magie von RosarioSobald vom argentinischen Fussball die Rede ist, geht es auch stets um die sprichwörtliche Leidenschaft der dortigen Fans. Für die überaus treuen Anhänger von Rosario Central jedoch scheint der Begriff "Leidenschaft" noch viel zu schwach, um deren außergewöhnliche Vereinstreue auch nur annähernd zu umschreiben. Denn diese verstehen sich selbst als die besten aller Fans, und das in allen Belangen.

Der Schriftsteller Roberto Fontanarrosa, der zu den eingefleischtesten Fans von Rosario Central zählte, beschrieb die historische Bindung dieses Klubs zu seinen Fans in einem seiner Bücher wie folgt: "Die Fans von Rosario Central denken von sich, dass sie in allem die Nase vorn haben, sofern sie sich außerhalb von Buenos Aires befinden. Rosario Central war die erste Mannschaft der Provinz Santa Fe, die argentinischer Meister wurde, sich für die Copa Libertadores qualifizieren und einen internationalen Titel holen konnte."

Doch das ist noch nicht alles: In der Saison 1986/87 - damals war der Klub nach seinem Abstieg im Jahr 1985 gerade wieder in Argentiniens Eliteklasse aufgestiegen - gewann Rosario Central mit einem Punkt vor seinem ewigen Stadtrivalen Newell's Old Boys als erster Aufsteiger überhaupt die argentinische Meisterschaft! Jener Erfolg fachte die ohnehin schon vorhandene Rivalität zwischen den beiden Klubs nur noch weiter an.

Der damalige Central-Coach Angel Tulio Zof konnte das Geschehene seinerseits kaum fassen: "Ich bin total überwältigt. Was wir hier gerade erleben, ist einfach unbeschreiblich. Die Emotionen, die Leute und erst die Spieler… Wir haben unser Ziel erreicht. Heute hatten wir das Glück auf unserer Seite, und das ist gut für den Fussball. Hut ab vor dieser jungen Mannschaft, denn sie hat genau das getan, was man von einem Meister erwartet."

Beispiele aus der jüngsten VergangenheitUngeachtet der Tatsache, dass die großen Klubs in den letzten Jahren die Titel in der Regel unter sich ausmachten, gibt es auch von ein paar Ausnahmen zu berichten. Für eine von ihnen sorgte der 1. FC Kaiserslautern, der in der Bundesliga-Saison 1996/97 den bitteren Gang in die zweite Liga antreten musste.

Der damalige FCK-Trainer Otto Rehhagel führte die Roten Teufel in der Folgesaison sofort wieder in die Erstklassigkeit zurück und holte mit ihnen obendrein den vierten Meistertitel der Vereinsgeschichte.

Seinerzeit standen bei den Pfälzern mit Andreas Brehme, Weltmeister in Italien 1990, Michael Ballack und Ciriaco Sforza gleich mehrere Topstars unter Vertrag. Dazu kam noch Torjäger Olaf Marschall, der in jener Saison zweitbester Torschütze der Bundesliga wurde.

In Asien gewann Olympic Beirut zu Beginn dieses Jahrhunderts nach einer überragenden Saison das Double aus Meisterschaft und Pokal, nachdem der Klub erst im Jahr zuvor den Aufstieg in die erste libanesische Liga geschafft hatte. Dank zahlreicher Neuverpflichtungen war die Mannschaft aus der libanesischen Hauptstadt damals zu einer Art nationalem Dream Team avanciert.

In Katar sorgte der Klub Lekhwiya für eine riesige Überraschung, als er keinem Geringeren als Al Gharrafa, das die nationale Meisterschaft seit Jahren dominiert hatte, den Titel streitig machte. Dem vom algerischen Coach Djamel Belmadi betreuten Team gelang dieser historische Erfolg nur wenige Monate nach seinem Aufstieg in die höchste Spielklasse des Landes.

Im Gespräch mit FIFA.comgestand der Ex-Profi von Olympique Marseille unmittelbar nach diesem Triumph: "Alle Welt fragt sich, wie eine so junge und eben erst aufgestiegene Mannschaft das schaffen konnte. Die Spieler haben mich für verrückt gehalten, als ich ihnen sagte, dass wir den Titel ins Visier nehmen werden. Heute ist ein sehr glücklicher Tag für mich."

In Fernost sicherte sich Kashiwa Reysol zunächst den Titel in der zweiten Liga und danach auf Anhieb die japanische Meisterschaft. Nach einer souveränen Saison in der J.League nahm das Team an der FIFA Klub-Weltmeisterschaft 2011 teil, bei der es nach dem verlorenen Elfmeterschießen gegen Al Sadd aus Katar den vierten Platz belegte.