Kayza Massey: Aus dem Waisenhaus zur WM

Schon nach wenigen Sekunden im Gespräch mit ihr merkt man, dass Kayza Massey keine gewöhnliche Ghanaerin ist. Doch erst wenn sie mit ihrem ausgeprägten kanadischen Akzent beginnt, ihre ganze Geschichte zu erzählen, wird dem Zuhörer klar, wie außergewöhnlich diese 15-jährige Torhüterin wirklich ist.

Diese Geschichte wurde durch eine zufällige Begegnung mit einer Entwicklungshelferin in Gang gesetzt, die ihr Leben von Grund auf veränderte. "Ich wurde in Ghana geboren und war in einem Waisenhaus, bis meine Mom aus Kanada kam", erzählt Massey im Gespräch mit FIFA.com. "Sie arbeitete damals in Ghana für UNICEF am Aufbau einer Schule in WaleWale mit. Eines Tages sagte jemand zu ihr: 'Wir haben da eine Überraschung für dich.' Diese Überraschung war ein vier Wochen altes Baby – nämlich ich – und sie beschloss sofort, mich zu adoptieren.

Ich weiß bis heute nicht, wie ich in das Waisenhaus kam. Ich weiß allerdings, dass die Menschen in Ghana eine ganz besonders enge Bindung zu ihren Kindern haben. Das ist natürlich überall so, aber in Ghana ist diese Bindung eben ganz besonders stark, sagt man. Jedenfalls werden Kinder nur extrem selten abgegeben, beispielsweise wenn die Mutter gestorben ist. Ich gehe daher davon aus, dass das wohl auch bei mir der Grund war."

Ein schicksalhafter AnrufTrotz dieses schweren Starts ins Leben entwickelte sich die kleine Kayza prächtig. Ihre Adoptivmutter sorgte dafür, dass sie eine glückliche Kindheit in geordneten Verhältnissen hatte. Gleichzeitig legte sie großen Wert darauf, dass der Umzug nach Kanada nicht zu Lasten ihrer ghanaischen Identität ging.

Massey erklärt: "In Ottawa gibt es eine ziemlich große ghanaische Gemeinde. Meine Mom hat von vornherein darauf geachtet, dass ich Teil dieser Gemeinde werde und mich als Teil dieser Kultur fühle. Mir gefällt diese Kultur sehr gut. Nicht zuletzt deswegen habe ich mich auch für diese Mannschaft entschieden. Meine Mom ist bei all diesen Dingen eine große Hilfe für mich. Sie ist sehr stolz auf das, was ich hier erreicht habe - dass ich für diese Mannschaft spiele und wir wichtige Siege geholt haben. Sie ermutigt und motiviert mich immer wieder, sagt mir, dass ich einfach mein Spiel spielen und dabei ruhig und besonnen bleiben soll."

Diesen Ratschlag hat Massey offenbar sehr gut verinnerlicht, denn nicht zuletzt ihrer Ruhe und Besonnenheit ist es zu verdanken, dass Ghana bei diesem Turnier noch dabei ist. Die heftige 0:5-Niederlage gegen Japan zum Auftakt hätte durchaus das Selbstvertrauen, die Moral und die Einheit des Teams beeinträchtigen können. Doch genau das Gegenteil trat ein, wie die überaus reif wirkende 15-Jährige erklärt. "Wir sind nach dem Spiel gegen Japan enger zusammengerückt", sagt sie. "Wir haben erkannt, dass wir nichts erreichen, wenn jede nur für sich spielt. Daher haben wir alles daran gesetzt, unsere mannschaftliche Geschlossenheit zu stärken und so ins Turnier zurück zu finden."

Dabei spielte Massey eine überaus wichtige Rolle. Beim Sieg im zweiten Spiel gegen die favorisierten U.S.-Amerikanerinnen zeigte sie eine ganze Reihe von Glanzparaden und im letzten Gruppenspiel gegen Paraguay (1:0) hielt sie ihren Kasten sauber. Damit erreichte Ghana das Viertelfinale. Doch zurück zu Masseys Entwicklungsgeschichte. Bevor wir sie nach ihren Gedanken zum bevorstehenden Viertelfinale gegen die DVR Korea fragen, wollten wir von ihr wissen,  wie sie Teil der ghanaischen Mannschaft wurde und den Weg zu diesem Turnier fand. Auch dieses Mal überrascht sie mit ihrer Antwort:

"Ich bin ein riesiger Fussballfan und spiele für eine Vereinsmannschaft hier in Ottawa. Irgendwann hörte ich von der bevorstehenden U-17-WM", erzählt sie. "Ich sprach mit meiner Mutter darüber und sie meinte: 'Wow, wäre es nicht cool, wenn du dort dabei sein und für Ghana spielen könntest?' Das Ganze war am Anfang wohl nicht ganz ernst gemeint, doch dann haben wir uns etwas näher damit beschäftigt und schließlich einfach beim Fussballverband von Ghana angerufen und gefragt, ob sie nicht interessiert wären, sich eine weitere Torhüterin anzusehen. 'Auf jeden Fall', lautete die Antwort. 'Unbedingt.'

"Noch hatte man mich allerdings nicht spielen sehen. Also mussten wir die Reise nach Accra selbst bezahlen und ich empfand daher durchaus etwas Druck, es nun auch ins Team zu schaffen. Glücklicherweise ist mir das gelungen. Kurz vor Beginn der Qualifikationsspiele habe ich mich verletzt, aber ich blieb dort, um das Team anzufeuern. Nachdem ich wieder einige Zeit in Kanada war, kehrte ich zum Trainingslager vor der WM zurück nach Ghana."

Die Verständigung klappt Noch einmal spielte das Schicksal eine Rolle. Massey hatte zwar den Trainerstab mit ihren Leistungen überzeugt, sollte jedoch eigentlich nur als Reservetorhüterin mit nach Jordanien reisen. Dann aber verletzte sich die Stammtorhüterin Martha Koffie Annan am Knie und somit rückte die 15-Jährige auf die Position zwischen den Pfosten nach. Sie hat ihre Chance mit beiden Händen ergriffen. Ihre besonderen Stärken liegen in der Strafraumbeherrschung und der Organisation der Abwehr, was umso beeindruckender ist, da die meisten ghanaischen Verteidigerinnen kein Englisch sprechen.

"Die meisten Mädchen sprechen lokale ghanaische Dialekte, aber das ist eigentlich kein so großes Problem wie man meinen könnte. Die meisten sprechen zwar kein Englisch, aber verstehen tun sie es durchaus. Und wenn jemand etwas nicht versteht, was ich sage, was selten vorkommt, dann hilft eine andere Spielerin als Übersetzerin aus. Außerdem habe ich mir auf dem Spielfeld einige ghanaische Brocken angeeignet, auch das hilft sehr. Somit lerne also auch ich hier wieder einen neuen Aspekt meiner Kultur kennen. Die Verständigung mit meinen Teamkameradinnen läuft also erstaunlich gut. Alle im Kader sind mir gegenüber sehr freundlich und offen.

"Das alles hier ist eine ganz außergewöhnliche Erfahrung für mich. Es macht Riesenspaß, bei einer WM zu spielen. Ich hoffe, dass wir es bis ins Finale schaffen. Das wird aber ganz bestimmt nicht leicht. Jetzt wartet erst einmal die DVR Korea auf uns. Wir haben ja selbst erlebt, wie stark die Japanerinnen sind, und wir gehen davon aus, dass die Koreanerinnen genau so gut sind. Aber wir haben bei diesem Turnier gelernt, uns an die unterschiedlichen Spielweisen unserer Gegner anzupassen. Ich bin sicher, dass wir mit einer geeigneten Strategie ins Spiel gehen werden."

Dennoch wird es schwer für Ghana, sich durchzusetzen, und noch schwerer, das von Massey anvisierte Ziel des Finaleinzugs zu erreichen. Wenn die Black Maidens es allerdings schaffen sollten, tatsächlich am Ende den Titel zu holen, wäre dies ein weiteres fantastisches Kapitel in der erstaunlichen Lebensgeschichte dieser wirklich außergewöhnlichen 15-jährigen Torhüterin.