Mittwoch 17 Februar 2016, 00:06

Es ist nie zu spät...

Als wäre das Duell im Viertelfinale der UEFA Europa League des FC Liverpool mit Trainer Jürgen Klopp gegen seinen Ex-Klub Borussia Dortmund, mit dem er unter anderem ins CL-Finale 2013 einzog und zwei Meisterschaften holte, nicht schon spektakulär genug, so setzten die Protagonisten am Donnerstagabend noch einen drauf.

4:3 triumphierten die Reds am Ende vor heimischen Publikum an der Anfield Road und zogen nach dem 1:1-Unentschieden im Hinspiel damit in die Runde der letzten Vier ein. Der entscheidende Treffer fiel erst in der Nachspielzeit durch Dejan Lovren - und dies, obwohl die Gäste sich nach der zwischenzeitlichen 2:0- und 3:1-Führung eigentlich schon wie der sichere Sieger fühlten.

Es hat sich einmal mehr gezeigt, dass bis zum Schlusspfiff noch alles möglich ist. So haben viele Mannschaften, die nicht vorzeitig die Schultern hängen ließen, zu einigen der schönsten Kapitel des Fussballs beigetragen. FIFA.com blickt zurück auf einige Treffer in letzter Minute, die den jeweiligen Begegnungen eine unerwartete Wendung gegeben haben.

Wo sonst als in der Wiege des Fussballs und des Kampfgeistes sollte diese Reise durch die Geschichte ihren Anfang nehmen? Die Sternstunde des englischen Fussballs datiert aus dem Jahr 1966, als das englische Team vor eigenem Publikum den WM-Titel gewann. Der Gastgeber lag in der 89. Spielminute mit 2:1 in Führung und war mit den Gedanken bereits beim sicher geglaubten Titelgewinn. Aber dann kam der deutsche Verteidiger Wolfgang Weber und setzte den verfrühten Feierlichkeiten durch seinen Ausgleichtreffer in letzter Sekunde ein jähes Ende. Doch Geoff Hurst, der bereits in der regulären Spielzeit erfolgreich gewesen war, wollte die Trophäe unbedingt in London sehen und steuerte in der Verlängerung noch einen Doppelpack bei. Der zweite Treffer fiel sogar erst in der 120. Minute.

Hurst hat sicherlich seine Nachahmer gefunden. Ungefähr 30 Jahre später trafen die Three Lions im Achtelfinale der WM 1990 in Italien auf ein starkes belgisches Team. Nur noch wenige Sekunden trennten beide Mannschaften vom Elfmeterschießen. Paul Gascoigne trat den letzten Freistoß und der eingewechselte David Platt erzielte mit einem wunderschönen Volleyschuss den spätesten Treffer der WM-Geschichte. Die Freude des Torschützen, sein wilder Torjubel und seine weit aufgerissenen Augen sind ebenfalls in die Geschichte eingegangen.

Während des gleichen Turniers hatte sich der Uruguayer Daniel Fonseca bis zur 90. Minute geduldet, um den 1:0-Siegtreffer seiner Mannschaft gegen Korea Republik zu erzielen und die Celeste in die zweite Runde zu schießen. Diesem Beispiel folgten auch Deutschland und Kolumbien während der letzten Vorrundenbegegnung. Die DFB-Auswahl hatte sich durch zwei Siege bereits für die K.o.-Runde qualifiziert und konnte es sich folglich erlauben, dass Pierre Littbarskierst in der 89. Minute einen Treffer markierte. Allerdings glich Freddy Rincón in der darauf folgenden Minute aus! "Kolumbien hat eine schwierige politische Phase durchlaufen, und dieses Tor war für das kolumbianische Volk wie eine Erleichterung", erinnerte sich der Torschütze der Kolumbianer.

Um solche Momente bei einer Weltmeisterschaft erleben zu dürfen, muss man sich allerdings erst einmal qualifizieren. Frankreich machte diese Erfahrung im November 1993 während der Qualifikation für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft USA 1994™. Obwohl sie aus den letzten beiden Heimspielen gegen Israel und Bulgarien lediglich einen Punkt benötigten, versagten den Bleus in den letzten Minuten dieser Begegnungen die Nerven. Zunächst verdarb der Israeli Reuven Atardie französische Partystimmung in der 93. Minute, bevor der Bulgare Emil Kostadinov in der letzten Minute des letzten Qualifikationsspiels den Franzosen endgültig das sicher geglaubte WM-Ticket entriss.

Frankreich hatte wohl nicht aus den Fehlern Japans gelernt, das nur einen Monat vorher das gleiche Schicksal erleiden musste. Die Blue Samurai mussten gegen Irak gewinnen, um sicher bei der WM in den USA dabei zu sein. Danach sah es auch aus, allerdings nur bis zur 91. Minute. Dann glich Jaffar Salman aus und stürzte das Land der aufgehenden Sonne in das Tal der Tränen.

Aber auch bei kontinentalen Meisterschaften wurde so manche Partie noch in letzter Minute gedreht. Während der UEFA EURO 2008 fand der Ball ganze drei Mal in der Nachspielzeit noch den Weg ins Tor. Diese Tendenz ist für den Technischen Direktor der UEFA und Mitglied der Technischen Studiengruppe der FIFA, Andy Roxburgh, das Ergebnis taktischer Vorgaben. "Viele Trainer wechseln erst sehr spät aus, um das Ergebnis noch zu beeinflussen", so der ehemalige Trainer der schottischen Auswahl. "Diese Entscheidungen haben einen enormen Einfluss auf die letzten Spielminuten, weshalb wir oft spektakuläre Schlussphasen erleben."

In Mode kam diese Erscheinung bei der EURO 2000, als Frankreich auf Italien traf. Die italienischen Tifosi hatten bereits die Champagnerflaschen geöffnet, als ihre Mannschaft nach 93 Minuten mit 1:0 in Führung lag. Doch Sylvain Wiltord zwang sie durch seinen Treffer in der 4. Minute der Nachspielzeit dazu, die Korken wieder aufzustecken. David Trezeguet sollte schließlich sogar noch das Golden Goal für die Franzosen erzielen. Vier Jahre später begann für Frankreich die Euro 2004 wie das vorausgegangene Turnier geendet hatte. Die Bleus liefen lange einem 0:1-Rückstand gegen die Engländer hinterher, drehen die Partie aber noch in den Schlussminuten: Zinédine Zidane versenkte in der 91. Minute einen Freistoß im langen Eck, bevor er in der 93. Minute schließlich auch noch einen Strafstoß verwandelte!

Argentinien sah sich für seinen Teil bereits als Südamerika-Meister 2004. Doch im Endspiel hatte Brasilien etwas dagegen. Christian Kily Gonzalez markierte den ersten Treffer per Strafstoß, doch Luisao erzielte praktisch mit dem Pausenpfiff den Ausgleich. Als die Mannschaften den Gang in die Kabine antraten, zappelte der Ball sogar noch im Netz. Nach der Pause brachte César Delgado die Albiceleste erneut in Führung. Diese hielt bis zur letzten Minute der regulären Spielzeit! Denn in der Nachspielzeit sollte ein wunderschöner Sololauf von Adriano die argentinische Party endgültig verderben. Die Schützlinge von Marcelo Bielsa waren demoralisiert und ergaben sich schließlich im Elfmeterschießen ihrem Schicksal.

Aber auch im Vereinsfussball gibt es zahlreiche Treffer, die erst in letzter Minute gefallen sind. Im Endspiel der UEFA Champions League 1999 führte der FC Bayern München nach 90 Minuten mit 1:0 gegen Manchester United. Doch in der Nachspielzeit erzielte der eingewechselte Teddy Sheringham den nicht mehr für möglich gehaltenen Ausgleich für die Red Devils. Den Bayern blieb nicht einmal die Verlängerung, da der gerade erst eingewechselte Norweger Ole Gunnar Solskjaer noch einen weiteren Treffer nachlegte und Manchester in den siebten Fussballhimmel schoss. "Ich kann einfach nicht oft genug von diesem Spiel reden", so der Edeljoker vor kurzem gegenüber FIFA.com. "Ganz gleich, wie viele Tore ich für Manchester erzielt habe, dieses wird immer einen ganz besonderen Platz einnehmen."

Ein anderes Endspiel eines Vereinswettbewerbs, ein weiteres spektakuläre Ende: Im Endspiel des Pokals der Pokalsieger 1995 stand es zwischen Real Saragossa und dem FC Arsenal nach 119 Minuten Unentschieden. Die Trainer bestimmten bereits die Elfmeterschützen, doch der Spanier Nayim spielte nicht mit. Praktisch von der Mittelfeldlinie aus lupfte er den Ball vom rechten Spielfeldrand über David Seaman und sicherte damit den Maños den Pokal. "Ich habe das einfach mal versucht, da ich als Kind auf die Art viele Tore geschossen hatte", erinnerte sich der Held des Abends. "Ich habe gesehen, dass der Torhüter viel zu weit vor dem Tor stand und einfach mal draufgehalten. Irgendwie hat es geklappt!"

Im schottischen Fussball steckt die Rivalität zwischen Celtic Glasgow und den Glasgow Rangers voller Leidenschaft, aber auch voller Spannung. Am letzten Spieltag der Saison 2004/05 hatte die Hoops ihr Schicksal selbst in der Hand: Ein Sieg bei Motherwell hätte den sicheren Titelgewinn bedeutet. Dank des Treffers von Chris Sutton sah anfänglich auch alles danach aus, und das, obwohl die Rangers in Edinburgh gegen Hibernian in Führung lagen. Es war bereits ein Helikopter unterwegs, um den Pokal nach Motherwell zu fliegen, als Scott McDonald, der australische Angreifer der Steelmen, in der 89. Minute noch den Ausgleich erzielte. Die Bhoys warfen daraufhin alles nach vorne, mussten aber noch einen weiteren Gegentreffer hinnehmen. Der Hubschrauber drehte indes ab und flog nach Edinburgh...

Eine ähnliche Spannung hat auch der FC Arsenal in der Saison 1988/89 geboten. Am letzten Spieltag trafen die Zweitplazierten Gunners auf den Tabellenführer aus Liverpool. Die Londoner mussten sich mit zwei Toren Unterschied durchsetzen, um dem Gegner den Titel noch abspenstig zu machen. Alan Smith erledigte in der ersten Halbzeit den ersten Teil des Jobs, doch Bruce Grobelaar und seine Abwehr konnten das Ergebnis bis kurz vor Schluss halten. In den Schlusssekunden liefen bei den Fans von Arsenal bereits die Tränen. In der letzten Sekunde der regulären Spielzeit wurden es sogar noch mehr Tränen, allerdings mit einem anderen Beigeschmack: Stürmer Michael Thomasmachte das Wunder perfekt und schenkte Arsenal mit seinem Treffer zum 2:0 nach 18-jähriger Durststrecke endlich wieder einen Meistertitel.

Der Begriff "Herzschlagfinale" wäre angesichts der Ereignisse am 19. Mai 2001 in der Bundesliga eine maßlose Untertreibung. Quasi in allerletzter Sekunde sicherte sich der FC Bayern München doch noch die 17. Meisterschaft, den dritten Titel in Folge. Dabei hatten 65.000 Zuschauer mit den Schalker Spielern schon im Gelsenkirchener Parkstadion für wenige Minuten den Titel gefeiert. Denn erst in der 90. Minute hatte Sergej Barbarez das 1:0 für den HSV geköpft, womit die Bayern geschlagen schienen. Zu diesem Zeitpunkt hieß der Meister S04, deren 5:3-Sieg gegen Unterhaching schon fest stand. Doch die Bayern schlugen noch einmal zurück. Nach einem Rückpass, den Hamburgs Torwart Matthias Schober mit der Hand aufnahm, wurde auf indirekten Freistoß entschieden, den Patrik Andersson aus zehn Metern durch die Mauer zum Titel in die Maschen drosch.

Beenden wir diese Weltreise bei einer der engsten Entscheidungen in der Geschichte der argentinischen Meisterschaft. Drei Spieltage vor Ende der Saison 2002 empfing River Plate mit Racing einen direkten Titelkonkurrenten. Aber auch Gimnasia La Plata befand sich zu diesem Zeitpunkt noch im Titelrennen. Der Hauptstadtklub erledigte seine Aufgabe in souveräner Manier und setzte sich mit 3:0 durch, während die anderen zwei Titelanwärter keinen Sieg einfahren konnten. In der letzten Minute wurde der Schlussmann von River Plate des Feldes verwiesen und überließ seinen Platz dem jungen Martin Demichelis für den folgenden direkten Freistoß. Die Anhänger von La Academia sahen den Ball bereits im Netz zappeln, doch stattdessen landete dieser in der Mauer River Plates, von wo aus er dank eines schnellen Gegenangriffs über den Paraguayer Nelson Pipino Cuevas im gegnerischen Tor landete. Die Millonarios setzten sich am Ende durch und steuerten geradewegs auf den Titel zu.