Donnerstag 06 Oktober 2016, 13:07

Herrera: Auch auf der Weltbühne im Kreis der Familie

Der Weg vom ersten Gebolze in der Nachbarschaft bis auf die weltweite Bühne ist lang und kompliziert. Mindestens genauso lang ist der zwischen den Hauptstädten Venezuelas und Jordaniens. Zunächst einmal für Veronica Herrera, die gemeinsam mit ihren Teamkameradinnen die schwierige Südamerika-Qualifikation überstehen musste, um das Ticket zur FIFA U-17-Frauen-Weltmeisterschaft zu erlangen. Dann aber auch für ihre Familie, für die es undenkbar gewesen wäre, nicht an ihrer Seite zu sein.

"Seit der Südamerikameisterschaft haben wir gesucht, wie wir am besten hierher kommen", sagt ihre Mutter Mary Carmen Souto auf der Tribüne des International Stadium von Amman während der Partie Venezuelas gegen Kamerun zu FIFA.com. "Anfangs konnten wir uns nicht vorstellen, wie wir das machen sollen. Wir haben uns informiert und eine Lösung gefunden, aber es war nicht leicht", ergänzt sie, bevor sie uns ihren Reiseweg aufschlüsselt. "Wir sind von Venezuela nach Miami geflogen. Dort hatten wir 24 Stunden Aufenthalt. Dann Miami – Istanbul und Istanbul – Amman. Insgesamt 20 Stunden Flugzeit. Wir waren müde, aber das war es wirklich wert", erklärt sie und zeigt mit dem Finger auf den Rasen. Dort trägt ihre Tochter gerade zum Sieg Venezuelas bei. Neben Mary Carmen stehen der Großvater und die Tante der Verteidigerin, beide im Trikot ihres Schützlings, und nicken zustimmend.

"Es motiviert mich zusätzlich, wenn ich auf die Tribüne schaue", verrät Veronica im Anschluss an die Begegnung. "Schon vor der Südamerikameisterschaft habe ich meiner Mutter und meinem Großvater versprochen, dass ich ihnen von dem Geld, dass ich verdienen würde, wenn wir uns für die WM qualifizieren, das Ticket bezahle, damit sie mich begleiten können. Ich habe mein Versprechen gehalten", sagt sie mit einem strahlenden Lächeln, das verrät, wie sehr es sie freut, ihre Nächsten glücklich zu machen. Neben der Mutter und dem Großvater hat sich auch ihre Tante der Reisegruppe angeschlossen.

Im großen Familienkreis"Ich habe eine besondere Beziehung zu ihr", erklärt Letty Hernandez. Ihre Augen beginnen zu strahlen, wenn sie von ihrer Nichte erzählt. "Vor allem, weil sie etwas Besonderes ist! Und das, seit sie auf der Welt ist. Sie ist geboren, um eine Gewinnerin zu sein. Seit jüngstem Kindesalter ist es ein tolles Mädchen. Ihre Energie und ihre gute Laune sind ansteckend. Sie macht uns stolz", erklärt Tante Letty. Sie ist davon überzeugt, dass die Zuneigung für Veronica weit über den engsten Familienkreis hinausgeht. "Ganz Venezuela ist dankbar für das, was sie tun, und dafür, dass sie uns so stolz machen. Nicht nur Veronica, sondern die ganze Mannschaft. Diese Mädchen haben etwas Außergewöhnliches gemacht. Etwas, das die Männer leider nicht geschafft haben. Das ganze venezolanische Volk steht geeint hinter dieser Vinotinto."

Unter den Millionen Fans gibt es einen, der besonders aufmerksam und vor allem viel anspruchsvoller als alle anderen ist. Der 79-jährige José Souto kennt die Verteidigerin am allerbesten. Deshalb ist er auch nicht davon überrascht, sie nun auf höchstem Niveau zu sehen. "Seit sie fünf Jahre alt ist begleite ich sie zum Training und habe immer zu ihr gesagt, dass Venezuela eines Tages eine WM erreichen würde", sagt er zu FIFA.com, wobei er die Augen keine Sekunde vom Spielgeschehen abwendet. Die Familie kann es sich nicht erlauben, sich während der Partie ablenken zu lassen. "Sie besuchen mich nach jedem Spiel im Hotel, um mir zu sagen, was ich gut gemacht, welche Fehler ich begangen habe und was ich noch verbessern muss", verrät Veronica, auch wenn sie nicht immer das zu hören bekommt, was sie gern hören würde. "Welchen Rat ich ihr gebe? Ich sage ihr einfach, dass sie immer alles schlecht macht! Denn danach macht sie jedes Mal alles noch besser", gibt der Großvater lächelnd zu, mit schalkhaftem Blick und die Mütze der Nationalelf auf den silbernen Haaren.

"Papi" macht sich keine SorgenKaum hat er seinen Satz beendet, wird sein kleines Mädchen auf dem Platz Opfer eines Zusammenstoßes, nach dem sie auf dem Boden liegen bleibt. Die Sanitäter eilen auf den Platz. Während Mama und Tata an ihren Nägeln kauen, bleibt Papi ruhig. "Das gehört zum Fussball, ich habe keine Angst davor, manchmal etwas abzubekommen", sagt Veronica nach der Begegnung zu diesem letztlich folgenlosen Zwischenfall. "Meine Mutter und meine Tante sind jedes Mal beunruhigt und sagen zu mir, dass ich aufpassen soll. Mein Großvater macht sich niemals Sorgen, weil er weiß, dass man in jedem Spiel einstecken muss."

Mary Carmen aber hat sich inzwischen an solche Szenen gewöhnt und ihre Tochter hunderte Male hinfallen und wiederaufstehen gesehen. Wie viele Mütter, deren Kinder Fussball spielen. Vor allem die Mütter von Jungs, nicht wahr? "Es heißt, es sei ein Jungssport. Aber es ist zuerst ein Sport. Und der Sport hat kein Geschlecht", sagt sie bestimmt. "Sie hat sich im Alter von fünf Jahren für den Fussball entschieden und seitdem haben wir uns an die Kommentare gewöhnt. Aber wir, und vor allem sie selbst, haben es nie als einen Jungssport angesehen. Es hat mich nie gestört, dass sie Fussball spielt."

Das ist ein großes Glück, denn sonst wäre es schwierig gewesen, unter dem gleichen Dach zu leben. "Sie spielt Fussball, sie spricht über Fussball, sie schaut Fussball. Der Fussball ist ihr Leben", sagt die stolze Mama. Dabei ist es nicht nur der Fussball. Sondern auch die Familie…