Montag 05 Juni 2023, 09:00

FIFA bekräftigt Forderung nach globaler Behörde im Kampf gegen Missbrauch im Sport

  • Alasdair Bell und Joyce Cook betonten bei einer von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates organisierten Anhörung die dringende Notwendigkeit gemeinsamer Maßnahmen

  • Der stellvertretende FIFA-Generalsekretär und die leitende Beraterin des Präsidenten informierten über die Ergebnisse des Konsultationsprozesses zur Schaffung einer globalen sportübergreifenden Behörde

  • Der ehemalige Kapitän von Manchester United und Frankreich Patrice Evra sprach ebenfalls und unterstützte die Forderung der FIFA nach einem einheitlichen globalen Ansatz

Bei einer Anhörung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) bekräftigten leitende Mitarbeiter aus der FIFA-Führung den Standpunkt des Weltfussballverbands, der eine sportübergreifende internationale Lösung mit möglichst vielen Beteiligten fordert.

Die Anhörung im Portcullis House in Westminster folgte auf einen ausführlichen Beratungsprozess, der nach der Forderung von FIFA-Präsident Gianni Infantino zur Schaffung einer unabhängigen Instanz für Schutz und Sicherheit im Sport in Gang gesetzt worden war.

Die versammelten Politiker aus den europäischen Mitgliedstaaten forderten die Einrichtung einer unabhängigen globalen Instanz, die dazu beitragen soll, Vertrauen zu schaffen und spezialisierte Unterstützungsdienste anzubieten, damit sich die Opfer melden können. Eine solche Instanz würde die laufenden Bemühungen zur Entwicklung nationaler Lösungen unterstützen, um sicherzustellen, dass Fälle von Missbrauch im Sport auf allen Ebenen und in allen Ländern angegangen werden.

Für die FIFA nahmen der stellvertretende Generalsekretär Alasdair Bell und die leitende Beraterin des Präsidenten Joyce Cook an der Anhörung im Zentrum Londons teil. Beide betonten, dass jetzt konkrete Maßnahmen ergriffen werden müssen.

"Wir sprechen hier über ein globales Problem", sagte Bell vor den Mitgliedern der parlamentarischen Vertretung des Europarates, dem 46 Länder angehören. "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass viele nationale Sportverbände und auch viele internationale Sportverbände nur über sehr begrenzte Kapazitäten, Ressourcen und Fachkenntnisse verfügen, um sich mit diesem Problem zu befassen. Es wird also angesichts der zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht verschwinden. Mir und der FIFA scheint, dass angesichts der Art des Problems, seiner internationalen Dimension und seines Charakters, die Bündelung von Wissen, Ressourcen und Erfahrungen ein logischer Schritt wäre."

Nach dem Aufruf des FIFA-Präsidenten zu einer Konsultation im Jahr 2021 wurde ein umfassender Prozess der Einbeziehung von Interessengruppen und der Forschung in Gang gesetzt. Mehr als 230 Experten und zahlreiche Interessengruppen nahmen an einer ersten weltweiten unabhängigen Konsultation teil, um die bestehenden Lücken zu ermitteln und die Notwendigkeit einer internationalen sportübergreifenden Behörde zu prüfen.

Die im Oktober 2021 im Beratungsbericht veröffentlichten Ergebnisse bestätigten, dass im Sport Kapazitäten und Fachkenntnis für die Bearbeitung von Missbrauchsfällen fehlen, dass die Strafrechtssysteme weltweit noch viele Lücken aufweisen und dass die Opfer kein Vertrauen in die bestehenden Systeme haben. Der Bericht empfiehlt die Einrichtung einer internationalen, unabhängigen Institution für Schutz und Sicherheit im Sport, die über die erforderlichen spezialisierten Dienste zur Unterstützung traumatisierter Opfer und zur Unterstützung der internationalen Sportverbände bei der Untersuchung von Missbrauchsfällen verfügt.

Im Anschluss an die erste Konsultation wurde im November 2022 eine Interims-Lenkungsgruppe (ISG) ernannt, die gemeinsam mit sieben internationalen Sportverbänden die Schaffung einer internationalen Institution prüfen und Empfehlungen auf höchster Ebene für die Gründungssportarten ausarbeiten sollte. Die Stimmen möglichst vieler Opfer im Sport wurden als entscheidend für diesen Prozess angesehen, und die "Army of Survivors" wurde beauftragt, dieses Engagement zu koordinieren und bei Bedarf beratende Unterstützung anzubieten. Weitere 40 Experten aus der ganzen Welt wurden eingeladen, die Arbeit der ISG zu unterstützen, und es wurde bewusst auf eine möglichst große geografische Abdeckung geachtet.

Joyce Cook, die im Auftrag des FIFA-Präsidenten die gesamte Konsultation koordinierte, stellte den PACE-Mitgliedern in London die wichtigsten Ergebnisse vor. Dabei betonte sie die wiederholte Forderung nach einer unabhängigen Institution, der Opfer und Informanten vertrauen können, während gleichzeitig auch mehr lokale Angebote entwickelt werden.

Sie verwies darauf, dass die weltweite Einrichtung nationaler Strukturen bei Einbeziehung mehrerer Interessengruppen mindestens 10 bis 15 Jahre dauern dürfte. Der vollständige Bericht und seine Empfehlungen sollen dem Internationalen Olympischen Komitee vorgelegt werden. Sie rief Sport und Politik dazu auf, die zahlreichen Probleme, mit denen sie derzeit konfrontiert sind, gemeinsam anzugehen.

"Dies ist ein Problem, das der Sport nicht allein bewältigen kann. Daher müssen wir stärker als je zuvor zusammenarbeiten. Wir müssen mit den Justizbehörden auf nationaler Ebene zusammenarbeiten, um das rechtliche Umfeld zu stärken. Und wir müssen mit den staatlichen Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten."

Die für die Schaffung der Abteilung für Sicherheit und Kinderschutz innerhalb der FIFA verantwortliche Cook bezeichnete Missbrauch als "eine der größten Bedrohungen für die Integrität des Sports" und führte Beweise für Täter an, die von einer Region in die andere und von einer Sportart zur anderen springen, und erklärte: "Nicht zu handeln, ist keine Option."

Neben den Vertretern der FIFA sprachen bei der Anhörung auch eine Reihe anderer Funktionäre, die Einrichtungen aus der ganzen Welt vertraten – darunter das britische Ministerium für Kultur, Medien und Sport, das Internationale Olympische Komitee, der Internationale Eishockey-Verband, der Vorsitzende des Verwaltungsrats des Erweiterten Teilabkommens über Sport des Europarats und der Vorsitzende des globalen NRO-Netzwerks ECPAT, das sich für die Beendigung der sexuellen Ausbeutung von Kindern einsetzt.

Neben den Amtsträgern sprachen auch zwei hochrangige Sportler, nämlich Olivia Jasriel, eine ehemalige südafrikanische internationale Tennisspielerin, die selbst Erfahrungen mit Missbrauch im Sport gemacht hat, und Gründerin der Jasriel Foundation, einer südafrikanischen NRO, die sich für den Schutz von Sportlern vor Kindesmissbrauch einsetzt, sowie Patrice Evra, ehemaliger Kapitän der Fussball-Nationalmannschaft von Frankreich und von Manchester United.

Evra berichtete leidenschaftlich von seinen Erfahrungen als Missbrauchsopfer und forderte die Teilnehmer in Westminster auf, das bei den Anhörungen Gesagte mit in ihre Länder und Wahlkreise zu nehmen und ihren Teil dazu beizutragen, dass auf allen Ebenen unverzüglich spürbare Veränderungen herbeigeführt werden.

Er sagte: "Ich weiß, dass zahlreiche Institutionen vieles in Bewegung setzen. Aber wir müssen uns an die Situation anpassen. Wir haben einen weltweiten Anti-Doping-Code, und wir versuchen, den Rassismus im Sport auszumerzen. Aber was ist mit dem Schutz der Kinder? Wir müssen jetzt damit anfangen, denn es handelt sich um eine echte Notsituation. Ich möchte, dass alle hier Anwesenden heute Abend nach Hause gehen und an die betroffenen Kinder denken. Wir müssen jetzt beginnen – und es muss hohe Priorität haben."

Er fuhr fort: "Innerhalb von nur 24 Stunden haben wir [Menschen und Medien] die Super League vom Tisch gehabt. Warum bringen wir nicht die gleiche Energie zum Schutz der Kinder auf? Ich war selbst ein Missbrauchsopfer. Ich bin ein Überlebender des Missbrauchs. Ich weiß, dass es ein heikles Thema ist, doch ich will kein Mitleid. Ich will eine Veränderung – und ich bin bereit, meinen Teil dazu beizutragen. Das ist wichtiger, als die Champions League zu gewinnen."