Samstag 26 November 2022, 18:00

Die TSG liefert ihre ersten Analysen und stellt drei Trends fest

  • Die Technische Studiengruppe der FIFA (TSG) hielt nach dem ersten Spieltag der Gruppenphase in Katar 2022 ihre erste Pressekonferenz ab

  • Nach 16 Partien hob man drei Tendenzen hervor

  • Die Experten Faryd Mondragón, Sunday Oliseh und Alberto Zaccheroni stellten ihre Analysen vor

Bei der FIFA Fussball-WM Katar 2022 verfügt das Team von Arsène Wenger, FIFA-Direktor für globale Fußballförderung, über noch umfassendere Instrumente zur Analyse als bei früheren Turnieren. Darüber hinaus kann man mit der Technischen Studiengruppe (TSG) auf ein Team von Experten im Weltfußball zählen, die im Lauf ihrer Karriere auf dem Platz oder auf der Trainerbank Erfahrungen von unschätzbarem Wert sammelten. Nach Abschluss des ersten Spieltags der Gruppenphase mit 16 Partien der 32 Auswahlmannschaften fand eine erste Pressekonferenz mit Alberto Zaccheroni, Sunday Oliseh und Faryd Mondragón, begleitet von Chris Loxston, Projektleiter der FIFA-Abteilung für Leistungsanalyse und -erkenntnisse, statt, bei der die Experten ihre ersten Beobachtungen zusammenfassten. "Drei Tendenzen ergaben sich aus unseren ersten Analysen: die Nutzung von langen Bällen, um den Druck hoch stehender Gegner zu vermeiden, das Gegenpressing mit vielen Spielern und die gestiegene Anzahl von Toren nach Flanken", erklärte Loxston zu Beginn einer detaillierten Analyse und illustrierte dies mit Videosequenzen und Grafiken.

Was die erste der genannten Tendenzen angeht, so verweist Mondragón besonders auf die Bedeutung des Torhüters gegen Teams, die versuchen, sehr hoch stehend den Ball zu erobern. "Es muss nicht die ganze Zeit praktiziert werden, aber es ist immer von Vorteil, wenn der Torhüter den Ball weit weg vom eigenen Tor schlägt, um jede Gefahr zu vermeiden" erläuterte der ehemalige Nationaltorhüter Kolumbiens, der an drei WM-Endrunden teilgenommen hat. "Wenn ein Team gute Mittelfeldspieler hat, können diese sofort einen Konter oder eine Offensivaktion einleiten." "Bei dieser Tendenz ist klar zu erkennen, dass der Torhüter oft derjenige Akteur ist, der Spielzüge einleitet, wobei er natürlich nicht seine wichtigste Aufgabe vernachlässigen darf, nämlich Gegentore zu verhindern", erklärte Mondragón gegenüber FIFA.com. "Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen einem Torhüter, der Spielzüge von hinten einleiten soll, und demjenigen, der dies auch unter Druck tun soll. In solchen Fällen sind lange Bälle notwendig. Der Torhüter muss also in der Lage sein, die Situation richtig zu erkennen und zu entscheiden, ob er einen langen Ball spielen oder einen Spielzug von hinten her einleiten soll." Das Gegenpressing ist die zweite Tendenz, die vom Team Arsène Wengers besonders hervorgehoben wurde. Er hatte bereits vor dem Turnier im Podcast "Insight Live" im FIFA Training Centre erklärt, dass das hohe Pressing zu einer Tendenz im Weltfußball geworden war und dass er gespannt sei, wie die Teams versuchen würden, dem entgegenzuwirken. Zaccheroni weiß im Übrigen, wovon er spricht, denn er verlangte von seinen Spielern immer, intensiven Druck auf den Gegner auszuüben, um zu verhindern, dass sie das Spiel mit langen Bällen verlagerten oder dass sie versuchten, in den Rücken der Abwehr zu gelangen.

Technical Study Group Media Briefing

"Der große Vorteil bei der frühzeitigen Balleroberung ist der, dass der Weg zum gegnerischen Tor dann viel kürzer ist", beschreibt der italienische Trainer und kommentiert dabei das Tor der Schweiz gegen Kamerun. "Wenn du sofort Druck auf den Gegner ausübst, bist du weit weg vom eigenen Tor. Du musst nur noch eine Linie gegnerischer Spieler überwinden", fügte der ehemalige Nationaltrainer Japans hinzu, der zwei Gründe für diese Tendenz bei den Trainern erläutert: "Wenn du in der Defensive bist, musst du bereits die Offensivaktion nach der Balleroberung im Blick haben. Wenn du im Angriff bist, musst du aber auch für den Fall eines Ballverlustes die nächste Defensivaktion vorhersehen." Das sind auch Situationen, die nichts Neues für Sunday Oliseh sind, der in seiner Zeit als Mittelfeldspieler Nigerias, das Feld von einem Ende zum anderen beherrschte. "Wir haben Teams gesehen, die ein hohes Pressing praktizieren, und wiederum andere, die dieses Pressing annehmen und deren Defensivtaktik darauf ausgerichtet ist", merkt er an. "Die Absicht ist die, dass, wenn ein Team den Ball bei einer Offensivaktion verliert, man verhindert, dass es sich neu formiert, sondern man sofort Druck ausübt, um einen Konter des Gegners zu vermeiden, der nicht mehr in die Nähe deines Tores gelangen soll", erklärte der ehemalige Spieler von Ajax Amsterdam und Borussia Dortmund. Er verweist als typisches Beispiel in Katar auf die Spielweise Spaniens in der Partie gegen Costa Rica. Diese Tendenz wird von der umfassenden Analyse von Chris Loxston und den Daten-Analysten gestützt, die jede Begegnung detailliert untersucht haben. "Nach 16 Partien ist zu erkennen, dass die Teams, die am meisten Gegenpressing mit vielen Spielern direkt nach einem Ballverlust praktizieren, diejenigen sind, die auch am schnellsten den Ball wieder zurückerobern und die meisten Torchancen haben", bestätigt der Chef-Analyst der FIFA und illustriert dies ebenfalls mit einer Grafik.

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Eine letzte Präsentation, die den Journalisten im Raum gezeigt wurde, offenbart eine dritte Tendenz, die von der TSG festgestellt wurde: In den bisherigen 16 Spielen der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Katar 2022™ führten 14 Flanken zu Toren und 56 zogen einen Schuss oder Kopfball auf das Tor nach sich. Im Vergleich dazu gab es bei der WM vor vier Jahren in den ersten 16 Partien nur drei Flanken, die zu Toren führten, und 35 mit einem Schuss oder Kopfball auf das Tor. "Bei einer perfekten Flanke hat der Torhüter nicht viele Chancen", weiß Mondragón, der diese Tendenz aus der Sicht des Torhüters bewertet. "Es ist die Qualität der Flanke, die entscheidet, ob ein Torhüter seinen Kasten verlässt oder nicht, um den Ball abzufangen. Bei einer perfekten Flanke ist es besser, er bleibt auf der Linie und verlässt sich auf seine Reflexe", sagt er und verweist als Beispiel auf den Kopfball des Ecuadorianers Enner Valencia gegen Katar im Eröffnungsspiel nach einer Flanke von der rechten Seite. Am Ende ihrer Präsentation verwiesen die Experten der TSG auf die Anzahl der torlosen Spiele seit Beginn des Turniers. Es waren exakt vier der 16 ersten Partien, zuletzt auch das 0:0 gegen England und den Vereinigten Staaten, das bereits zum zweiten Spieltag gehört. "Viele Teams gehen erstmal vorsichtig zu Werk, indem sie beispielsweise fünf Abwehrspieler auf eine Linie stellen und versuchen, möglichst kompakt zu stehen", erläutert Zaccheroni. "Im Laufe des Turniers werden wir aber sehen, dass die Mannschaften mehr wagen werden", lautet seine abschließende Prognose.

Qatar v Ecuador: Group A - FIFA World Cup Qatar 2022