Freitag 05 Februar 2016, 18:00

Stolpert PSG ausgerechnet bei OM?

Wie jedes Duell in der Welt des Fussballs, das als Derby bezeichnet wird, sorgen auch die Begegnungen zwischen Paris Saint-Germain und Olympique Marseille regelmäßig für jede Menge Emotionen. Jede Neuauflage des französischen Klassikers bietet nicht nur im sportlichen Bereich, sondern darüber hinaus auch in historischer, kultureller und sozialer Hinsicht reichlich Zündstoff. Dies umso mehr, da dieses Derby zusätzlich weitere verbreitete Klischees bedient: Hauptstadt gegen Provinz, Nord gegen Süd, Frankreichs Vorzeigemetropole gegen die manchmal chaotische Stadt am Mittelmeer.

Dabei handelt es sich vor allem um das Duell zwischen den zwei einzigen französischen Klubs, die bislang einen europäischen Titel gewinnen konnten. Bis zur Jahrtausendwende, nach der die bis heute andauernde Erfolgsserie von Olympique Lyon begann, hatten der Hauptstadtklub und der Verein aus der südfranzösischen Hafenstadt den Fussball in der Grande Nation fast nach Belieben beherrscht. Das Besondere an der Rivalität zwischen diesen beiden Klubs ist, dass diese längst über die Grenzen der beiden Städte hinausgetragen wurde. Tatsächlich sind PSG und OM neben AS Saint-Etienne Frankreichs einzige Klubmannschaften, deren Fans und Sympathisanten sich über das ganze Land verteilen. Falls Sie zu den Anhängern eines der beiden Klubs zählen, birgt diese Begegnung für Sie sicher kein Geheimnis mehr. Für alle anderen nimmt FIFA.com den Klassiker schlechthin des französischen Fussballs etwas näher unter die Lupe.

Die Anfänge Auch wenn die Rivalität zwischen den beiden Top-Vereinen bereits durch etliche Duelle mit teils unvergessenen Toren geprägt ist, die Geschichte dieses Derbys ist noch relativ jung. Sicher, die Südfranzosen haben längst ihr 100-jähriges Vereinsjubiläum gefeiert. Der Klub aus der französischen Hauptstadt hingegen wurde erst im Jahr 1970 gegründet. Angesichts der Erfolge und der jahrzehntelangen Erfahrung von OM galt Paris Saint-Germain im französischen Fussball zunächst nur als ein Gegner unter vielen. Doch schon ab Mitte der 80er Jahre begann der Pariser Verein, eine stattliche Trophäensammlung anzuhäufen und auf einem Niveau zu spielen, das seinem Status als Hauptstadtklub alle Ehre machte.

Zu jenem Zeitpunkt hatte gerade der ambitionierte Bernard Tapie das Amt des Vereinspräsidenten bei OM übernommen und der TV-Bezahlsender "Canal +" als neuer Klubeigner frisches Geld in die Vereinskasse gepumpt. In der Folge holten die Südfranzosen zum großen Schlag aus und verpflichteten einen Star nach dem anderen, die dann sämtlich für Furore sorgten und die Fans nachhaltig begeisterten. Während internationale Topspieler wie Chris Waddle, Jean-Pierre Papin, Carlos Mozer, Rudi Völler, Basile Boli und Enzo Francescoli fortan im weißen Trikot von OM aufliefen, sicherte sich PSG die Dienste von Safet Susic, Luis Fernández, David Ginola, Youri Djorkaeff, George Weah und Rai. Und es dauerte nicht lange, bis sich die sportliche Rivalität auch auf die historischen und sozialen Unterschiede zwischen den beiden Großstädten ausdehnte. Das ging dann so weit, dass sich die historisch gewachsenen Gegensätze schon bald auch in erbitterten Duellen auf dem Spielfeld sowie in schier endlosen Wortgefechten in den Medien widerspiegelten.

Zahlen und FaktenOlympique Marseille war lange Zeit dominierend und kassierte zwischen 1990 und 1999 nur eine einzige Niederlage. Allerdings spielten die Südfranzosen davon auch zwei Jahre in der zweiten Liga. Mittlerweile hat PSG dank einer außergewöhnlichen Serie großer Erfolge aber mehr Siege eingefahren. Von 87 Partien gingen 35 an die Hauptstädter, 32 an Marseille und 20 endeten mit einem Remis.

"Sieger für immer", lautete eine der Lieblingsparolen der Fans von Olympique Marseille nach dem historischen Triumph ihrer Mannschaft in der europäischen Königsklasse im Jahr 1993, dem ersten eines französischen Klubs überhaupt. Eine Losung, die längst auch für das klassische Derby in der französischen Meisterschaft Bestand hat. Die erste Partie zwischen beiden Teams fand im Jahr 1971 statt. Damals setzte sich OM mit den Stürmerlegenden Roger Magnusson und Josip Skoblar mit 4:2 durch. Die Hauptstädter dagegen werden sich vor allem an das Jahr 2003 erinnern, als PSG drei Siege in Folge landen konnte, davon zwei im gegnerischen Stadion. Eines der beiden gewonnenen Auswärtsspiele endete dank einer Gala-Vorstellung von Ronaldinho gar mit einem deutlichen 3:0.

Anekdoten und Zitate Jede Auflage dieses Klassikers kann zudem mit einer kleinen Geschichte am Rande aufwarten, von denen einige bereits in die französische Fussballgeschichte Eingang fanden. So ist die Rivalität zwischen den beiden Klubs, so wie wir sie heute erleben, wohl in erster Linie der Begegnung von 1989 im Stade Vélodrome zu verdanken. Als man am 35. Spieltag der Ligue 1 im direkten Duell aufeinander traf, lieferten sich beide Mannschaften an der Tabellenspitze gerade ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den Meistertitel. Es kam zu einer hart umkämpften Partie, die in ein Unentschieden zu münden drohte, was den Hauptstädtern mehr genutzt hätte als den Gastgebern. Doch es kam anders. Wenige Sekunden vor Schluss jagte Franck Sauzée das Leder aus 30 Metern Entfernung ins gegnerische Netz und bereitete Olympique Marseille damit den Weg zum ersten Titelgewinn seit 1972. Gleichfalls erinnert man sich wohl noch gut an die Worte des Portugiesen Artur Jorge, der vor der Begegnung beider Teams im Jahr 1992 als Trainer von Paris Saint-Germain mit der Ankündigung überraschte: "Wir werden sie schlagen." Daraufhin ließ OM-Präsident Bernard Tapie den dazugehörigen Zeitungsartikel in der Umkleidekabine seiner Mannschaft aufhängen. Und seine Maßnahme verfehlte ihre Wirkung nicht: Nach 90 Spielminuten hieß der Sieger Olympique Marseille!

Zu den mit Abstand schönsten Erinnerungen auf Seiten der Marseiller Fans zählt zweifellos der 29. Mai 1993. Drei Tage nach dem historischen Triumph im Finale der UEFA Champions League über AC Mailand traf der Tabellenführer der Ligue 1 vor heimischem Publikum auf seinen unmittelbaren Verfolger aus Paris. Und das in einer Partie, die für den Ausgang der Meisterschaft von entscheidender Bedeutung war. Die von der ausgedehnten Siegesfeier noch sichtlich müde wirkenden Gastgeber gerieten alsbald in Rückstand. Doch das Schicksal meinte es an diesem Tag offensichtlich gut mit den Südfranzosen. Denn die spielten plötzlich wie entfesselt auf und erzielten noch drei Treffer. Eines dieser denkwürdigen Tore ging auf das Konto von Basile Boli, der nach einer herrlichen Angriffskombination einen platzierten Kopfball aus sage und schreibe 16 Metern in die Maschen setzte und so für einen der schönsten Treffer in der Geschichte des Derbys zwischen OM und PSG sorgte.

Danach bot sich dem Hauptstadtklub noch mehrmals die Gelegenheit zur Revanche, wobei es vor allem zwei Episoden waren, die den Fans im Pariser Prinzenpark besonders positiv im Gedächtnis erhalten blieben. Im Jahr 1999, als OM sich gerade anschickte, den Titel nach Marseille zu holen, befand sich PSG nach einer längeren Durststrecke ohne Sieg gegen seinen ewigen Rivalen am Rande einer Krise. Dennoch konnten die Hauptstädter ihr damaliges Heimspiel gegen Olympique Marseille mit 2:1 für sich entscheiden, und am Saisonende landete OM mit einem Zähler Rückstand hinter Girondins Bordeaux nur auf Rang zwei. Im Jahr 2006 trafen beide Mannschaften im französischen Pokalfinale aufeinander. Während die Südfranzosen noch ganz oben in der Tabelle mitmischten, kämpfte Paris Saint-Germain bereits gegen den drohenden Abstieg. Am Ende unterlag der haushohe Favorit aus dem Süden mit 1:2, woran insbesondere Vikash Dhorasoo, der ansonsten kaum als Torschütze in Erscheinung trat, mit seinem spektakulären Gewaltschuss den größten Anteil hatte.

Die Gegenwart Seit Mitte der 1990er Jahre präsentierten sich beide Teams nur selten zur selben Zeit in Bestform - bis auf wenige Ausnahmen. Und obwohl OM in der Regel häufiger Herausforderer war,  kam es, seit der Ankunft der katarischen Investoren bei PSG, zu einer Machtverschiebung. Die finanziellen Mitte erlauben dem Hauptstadtclub, eine Mannschaft zusammenzustellen, die mit den besten Clubs in Europa konkurrieren kann. Seitdem geht PSG als Favorit in die Begegnungen mit OM, ganz egal ob es nun im Parc des Princes oder im Velodrom ist.

Vor dem Spiel im vergangenen Oktober, das in der Hauptstadt 2:1 für PSG endete, fiel auch Ángel di María, Sommerneuzugang bei Paris, der Stellenwert dieser Begegnung auf: "Marseille, Marseille, Marseille. Jeder sprach nur darüber. Auf der Straße wurde ich von den Fans aufgefordert, drei oder vier Tore zu erzielen. 'Du wirst schon sehen', sagten mir meine Mitspieler. Wie in allen Klassikern ist der Druck besonder hoch. Ich liebe die Atmosphäre, das ist einfach Fussball pur, wenn es im Stadion so richtig laut ist. Pocho und El Flaco sagten zu mir: 'Das ist wie die Spiele in Argentinien.' Es wird großartig sein!"

Für Marseille wäre es sicher ein besonderes Vergnügen, den Parisern, die in dieser Saison in der Ligue 1 noch ungeschlagen sind, die erste Liga-Niederlage beizubringen.