Mittwoch 29 Januar 2020, 08:16

Dalic: "Nach der WM hat sich alles verändert"

  • Dalic blieb nach dem WM-Finale als Nationaltrainer Kroatiens an Bord

  • Er führte das Team inmitten einer Umbauphase erfolgreich durch die EM-Qualifikation

  • Dalic spricht über die Herausforderungen und Geheimnisse hinter dem Erfolg

Zlatko Dalic und Kroatien wird die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Russland 2018™ stets als magisches Sommermärchen in Erinnerung bleiben.

Nach der WM, bei der Kroatien ein historischer Vorstoß bis ins Finale gelang, stellte sich allerdings eine Frage: 'In welche Richtung geht es nun weiter?' Denn eigentlich konnte es in dieser Situation nur bergab gehen.

Stars wie der Stürmer Mario Mandzukic und der 'Elfmetertöter' Danijel Subasic entschlossen sich, ihre Karriere im Nationalteam nach diesem Höhepunkt zu beenden. Angesichts dieser Rücktritte und interessierter Anfragen großer Klubs im Ausland sah sich auch Dalic in einer Zwickmühle. "Mir war klar, dass es eigentlich nicht mehr besser werden könnte", sagte er im Gespräch mit FIFA.com.

Letztlich entschied sich Dalic – aus Pflichtgefühl und Dankbarkeit für seine privilegierte Stellung – auch weiterhin die Geschicke der kroatischen Nationalmannschaft zu lenken. Seitdem hat er sein Team umgebaut und verjüngt und trotz des unvermeidlichen Durchhängers nach der herausragenden WM die Qualifikation für die UEFA EURO 2020 als Gruppensieger abgeschlossen.

Mit mehreren vielversprechenden Youngstern im Team sowie erfahrenen Veteranen wie Kapitän Luka Modric fährt Kroatien nun auch zur EURO als einer der interessantesten Geheimfavoriten. Im Vorfeld des Turniers sprachen wir mit Nationaltrainer Dalic über die Herausforderungen, die es zu meistern gab, die Veränderungen in seinem Leben und seine Entscheidung, weiterzumachen.

FIFA.com: Herr Dalic, was sagen Sie dazu, dass sich Ihr Team als Gruppensieger für die UEFA EURO 2020 qualifiziert hat?

Zlatko Dalic: Es ist immer befriedigend, die eigenen Ziele zu erreichen. Es war nicht leicht. Das ist es in der Qualifikation für ein großes Turnier nie. Doch wir haben in den entscheidenden Partien stets stark gespielt und ich denke, wir haben die Gruppe verdient gewonnen. Wann immer wir Stärke zeigen mussten und Punkte brauchten, haben wir es geschafft. Das zeigt die Klasse, die Charakterstärke und den Geist dieses Teams. Ich bin sehr zufrieden, denn es ist uns gelungen, neue Spieler ins Team zu integrieren und gleichzeitig unser hohes Niveau zu halten. Noch glücklicher macht mich die Tatsache, dass unser Zusammengehörigkeitsgefühl weiter intakt ist und dass wir fantastische Unterstützung durch unsere Fans haben. Unsere Einheit war der Schlüsselfaktor bei der WM und wird es auch auf unserem weiteren Weg bleiben.

Natürlich lief nach der WM nicht einfach alles problemlos weiter. Können Sie uns einige der Herausforderungen nennen, vor denen Sie standen, und wie Sie damit umgegangen sind?

Mehrere wichtige, erfahrene Spieler sind aus der Nationalmannschaft zurückgetreten, darunter Mario Mandzukic. Und es war nur normal, dass der Rest des Teams nach dieser herausragenden WM einen Durchhänger hatte. Wir haben darauf reagiert, indem wir einige junge Spieler ins Team integriert haben, die erfolgshungrig, ambitioniert und sehr talentiert sind. Spieler wie Josip Brekalo und Nikola Vlasic, die in der EM-Qualifikation eine wichtige Rolle gespielt haben. Mit Bruno Petkovic haben wir außerdem einen brandgefährlichen neuen Stürmer gefunden. Es ist uns also gelungen, unser Team mit einigen jungen Spielern aufzufrischen und gleichzeitig die Qualität dank erfahrener Weltklassespieler wie Modric, [Ivan] Rakitic und [Ivan] Perisic zu halten.

Haben Sie Veränderungen bei der Einstellung der Gegner Kroatiens bemerkt, was Motivation und Taktik angeht, wenn es gegen den WM-Finalisten geht?

Das ist eine sehr gute Beobachtung und es stimmt: Für unsere Gegner ist es eine große Sache, gegen Kroatien zu spielen. Alle sind mit viel Energie und voller Konzentration dabei, denn sie wollen den Vizeweltmeister besiegen. Das ist uns natürlich klar und wir bereiten uns darauf vor. Doch es bedeutet eben, dass wir es stets mit besonders motivierten Gegnern zu tun haben. Es ist nicht leicht, in jedem Spiel damit konfrontiert zu sein. Andererseits genießt man als Sportler natürlich genau diese Herausforderung und will jedem zeigen, dass der Gewinn der Silbermedaille absolut verdient war. Wir haben ein Team voller Wettkämpfer, die es lieben, für Kroatien zu spielen und denen die Bedeutung und das Privileg, für die Nationalmannschaft zu spielen, sehr bewusst sind.

Wie hat sich Ihr persönliches Leben seit der WM verändert?

Mein Leben hat sich völlig verändert. Es hat sich verändert, weil mich nun wirklich jeder in Kroatien kennt. Aber ich selbst habe mich hoffentlich nicht verändert. Meine Eltern haben mir beigebracht, bescheiden zu sein, andere Menschen zu respektieren und hart zu arbeiten. Daran habe ich mich vor der WM gehalten, und daran halte ich mich auch jetzt noch.

Sie haben Ihre Enttäuschung darüber zum Ausdruck gebracht, dass nicht mehr getan wird, um auf dem erfolgreichen WM-Abschneiden aufzubauen. Was sollte Ihrer Meinung nach getan werden?

Ich meine damit in erster Linie die Infrastruktur und das Verhältnis, das die Landes- und die Lokalregierungen zum Fussball haben. Es ist doch wirklich enttäuschend, dass Kroatien als WM-Finalist in unserer Landeshauptstadt Zagreb, wo wir die meisten Länderspiele austragen, über kein angemessenes Stadion verfügt. Insgesamt ist das Niveau unserer fussballerischen Anlagen sehr schlecht und weit unter dem, was der Fussball eigentlich verdient hätte. Unsere Fans, unser Team, unsere Nachwuchsspieler, unsere Trainer – wir alle haben mehr Investitionen in den Fussball verdient, denn es wird äußerst schwer werden, mit anderen Ländern Schritt zu halten, die viel mehr investieren.

Hat Kroatien die Umbauphase nach der WM in Russland nun abgeschlossen und ist wieder in Bestform?

Wenn man unsere Startaufstellung im WM-Finale mit der Aufstellung am Ende der EM-Qualifikation vergleicht, wird sehr deutlich, dass wir eine ganze Menge umgebaut haben. Unser Team verfügt nicht mehr über so viel Erfahrung wie bei der WM, doch in manchen Bereichen sind wir sogar vielleicht noch stärker geworden. Sehen Sie sich unseren 4:0-Sieg in der Slowakei an. In diesem Spiel haben wir eine unserer besten Leistungen gezeigt, seit ich Trainer Kroatiens bin, die WM eingeschlossen. Mit dieser Leistung haben wir gezeigt, dass Kroatien für jeden ein schwerer Gegner sein wird, nicht nur bei der EURO, sondern auf Jahre hinaus.

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Kroatien ist bei der Auslosung für die Europameisterschaft in einer Gruppe mit der Tschechischen Republik, England und einem Playoff-Sieger gelandet. Welche Herausforderungen erwarten Sie in dieser Gruppe?

Es wird eine schwere Gruppe – aber leichte Gruppen gibt es bei großen Turnieren sowieso nicht. Das Spiel gegen England dürfte eine besonders große Herausforderung werden. Die Engländer haben in diesem Spiel Heimvorteil, aber das bedeutet andererseits auch mehr Druck, womit ein Team nicht unbedingt immer gut klar kommt. Wir haben es ein Mal geschafft, England im Wembley-Stadion zu besiegen, nämlich 2007. Hoffentlich gelingt uns das wieder. Doch uns ist auch klar, dass dies nicht das einzige wichtige Gruppenspiel ist. Wir müssen auch für das sehr solide Team der Tschechischen Republik bereit sein, ebenso wie für einen schweren dritten Gegner, wer das auch sein wird. Unser Ziel ist natürlich der Einzug in die nächste Runde. Dann wollen wir versuchen, das Feuer von Russland wieder zu entfachen. Wir gehören nicht zu den Topfavoriten, aber das hat nicht viel zu sagen. Wir fahren in dem Wissen zur EURO, dass wir jeden Gegner schlagen können. Das gilt allerdings für acht oder neun Teams. Genau deswegen sollte es ein großartiges Turnier werden.

Sie hatten nach der WM verschiedene Angebote, in andere Länder zu gehen. Was hat Sie überzeugt, zu bleiben?

Wie ich schon gesagt habe, bin ich sehr dankbar, dass ich diese Position habe. Nach der WM war auch mir klar, dass es eigentlich nicht mehr besser werden könnte, es sei denn, wir würden die EURO gewinnen. Ich hatte das Gefühl, es dem Team schuldig zu sein, und auch den Fans, denn diese Fans zeigen überaus große Begeisterung und Leidenschaft für die Spieler – und auch für mich. Es gibt für einen Trainer keine großartigere Aufgabe, als die Nationalmannschaft des eigenen Landes zu führen. Das kann man nicht mit einem Preisschild versehen. Ich denke, dass es stets auch andere Jobangebote geben wird. Doch meine Position, in der ich versuchen kann, unserem Land erneut unglaubliche Freude zu schenken, ist einfach unbezahlbar.