Kuntz: "Das geht weit über den Fussball hinaus"
U-21-Bundestrainer Kuntz im exklusiven Interview
Vorfreude auf Olympia 2020
"Es ist wie eine kleine WM"
Stefan Kuntz ist kein Mann der lauten Töne, dabei hätte der deutsche Europameister von 1996 allen Grund dafür, sich in den Vordergrund zu rücken. Seit Jahren leistet der 56-Jährige überragende Arbeit im Nachwuchsbereich des deutschen Fussballbundes (DFB).
Zahlreiche Spieler der aktuellen A-Auswahl betreute der Ex-Stürmer bereits in den Jugendteams und auch die aktuelle Generation kann sich sehen lassen, unter anderem Alexander Nübel (Schalke 04), Maximilian Eggestein (Werder Bremen) oder Luca Waldschmidt (SC Freiburg) gehören inzwischen zum Stammpersonal in ihren Klubs. Ersterer ist sogar Kapitän, Letzterer glänzte bei der U-21-Europameisterschaft vor wenigen Wochen als Torschützenkönig des Turniers (7 Treffer).
Zwar verlor der Titelverteidiger das Finale gegen Spanien (1:2), doch das Ticket zum Olympischen Fussballturnier Tokio 2020 war ihnen nicht mehr zu nehmen. Zum zweiten Mal in Folge und zum zehnten Mal insgesamt fährt Deutschland zu Olympia, 2016 in Rio gelang mit dem Gewinn der Silbermedaille das beste Abschneiden überhaupt.
Im Interview spricht der 25-malige Internationale über die Turnier im nächsten Sommer sowie die aktuelle Situation im Nachwuchsfussball.
Deutschland ist zum zweiten Mal in Folge bei Olympia dabei. Glückwunsch dazu! Wie groß ist die Vorfreude ein Jahr vor dem Turnier? Läuft die Planung schon? Die Vorfreude ist seit unserem Halbfinaleinzug bei der EM in Italien zu spüren. Olympia ist etwas ganz Besonderes, aber noch weit weg für uns. Momentan stehen wir vor der Herausforderung zwei Mannschaften gleichzeitig zu sichten. Einerseits den Jahrgang 1998 und jünger, mit dem wir gerade unsere ersten Spiele in der U 21-Nationalmannschaft bestreiten und mit dem wir uns für die U 21-Europameisterschaft 2021 qualifizieren wollen.
Andererseits haben wir auch ein Auge auf den Jahrgang 1997. Diese Spieler haben die EM im Sommer in Italien mitgespielt und sind noch für die Olympischen Spiele spielberechtigt. Dazu können wir dann den Kader noch um drei ältere Spieler ergänzen.
2016 in Rio gab es Silber. Ist diesmal sogar Gold drin? Für eine Prognose ist es noch viel zu früh. Noch wissen wir weder, welche Spieler uns zur Verfügung stehen, noch mit welchen Kader die anderen Teams anreisen und gegen wen wir spielen.
Was erwarten Sie von dem Turnier in Tokio? Was ist so besonders an Olympia? Die Olympischen Spiele gehen ja weit über den Fussball hinaus und sind das größte und wichtigste Sportereignis der Welt. Hier treffen die besten Athleten der wichtigsten Sportarten aufeinander. Dazu die Historie, die hinter diesem Event steckt. Das ist einmalig. Das olympische Fussballturnier läuft ähnlich wie eine kleine WM ab, deshalb freuen wir uns darauf, auf unbekannte Gegner aus der ganzen Welt zu treffen.
Viele Spieler aus Ihrem U-21-Team spielen bereits in der Bundesliga. Sind Sie zufrieden mit der aktuellen Entwicklung? Dass junge deutsche Talente in den oberen Ligen vermehrt zum Einsatz kommen, ist schon seit einigen Jahren so. Mittlerweile erkennen wir leider einen gegenläufigen Trend, darüber hinaus wechseln viele junge, ausländische Profis in die Bundesliga, obwohl wir sagen: wenn unsere eigenen Talenten Vertrauen und Spielzeit erhalten, werden sie sich ebenso gut entwickeln. Das haben etliche Beispiele aus dem letzten EM-Kader gezeigt.
Bei Olympia dabei, aber bei der U-17- und U-20-WM nicht. Wie erklären Sie sich das? Nicht jeder Jahrgang ist gleich gut besetzt. Die Jungs, die aktuell in den unteren U-Teams nachkommen, sind momentan nicht ganz so stark wie die Jahrgänge davor. Dazu haben unsere Kontrahenten im Jugendfussball in den letzten Jahren extrem aufgeholt, hinzu kommt gerade hinsichtlich der U20-WM ein brutaler Quali-Modus im U-19-Jahrgang.
Aktuell hinterfragen wir aber auch viele Dinge und wollen neue Innovationen auf den Weg bringen, um langfristig wieder an die Weltspitze zu kommen. Man muss aber auch dazu sagen, dass es in der Talentförderung und Jugendarbeit nicht nur darum geht, in der U-17 und der U-19 zwingend Titel zu gewinnen, sondern eine hohe Durchlässigkeit in den Profibereich und die A-Nationalmannschaft zu erreichen. Hierfür sind möglichst viele Erfahrungen bei Welt- und Europameisterschaften natürlich hilfreich. Julian Brandt kam mit der Erfahrung von fünf Endrundenturnieren zu seiner ersten WM mit der A-Nationalmannschaft. Man muss die Entwicklung der einzelnen Spieler individuell betrachten. Manche machen ihre Entwicklungssprünge halt etwas später, das muss aber kein Nachteil im Herrenbereich sein.
England holte vor zwei Jahren den Titel in diesen Altersklassen, ist aber ebenfalls 2019 beide Male nicht dabei. Überrascht Sie das? Ja, wobei sich im Jugendbereich ein Jahrgang nicht mit dem nächsten vergleichen lässt. Nur weil ich einmal einen starken U-17-Jahrgang hatte, bedeutet das nicht, dass der nächste genauso gut ist.
Es gab viel Kritik an der Nationalmannschaft nach dem WM-Aus 2018. War das gerechtfertigt? Was die Leistung auf dem Platz betraf, ja. Wir haben nicht gut gespielt und unsere eigenen Erwartungen nicht erfüllt. Deshalb wurde die gesamte WM analysiert und ausgewertet. Allerdings wurden auch viele Debatten um Spieler und den Trainer geführt, die nicht gerechtfertigt waren. Jog Löw hat davor über 14 Jahre hervorragende Arbeit geleistet, stand mit seinem Team immer mindestens im Halbfinale. Insofern sollte man ihm nach einer schlechten WM nicht seine Fähigkeiten absprechen.
Welchem Ihrer Spieler trauen Sie eine ganz große Karriere zu? Ich hebe ungern einzelne Spieler heraus. Aber wir hatten bei der U-21-EM 2019 ja schon einige dabei, die bereits erste Erfahrungen in der A-Nationalmannschaft gesammelt hatten. Diese Spieler sind auf einem guten Weg, aber sie müssen ihn auch konsequent zu Ende gehen, um sich weiterzuentwickeln und ganz oben anzukommen.
Es gibt viele Spekulationen um die Post-Löw-Ära. Hätten Sie Lust auf den Bundestrainer-Job? Oder doch lieber nochmal einen Verein? Das ist aktuell für mich kein Thema. Wir haben einen hervorragenden Bundestrainer, und ich konzentriere mich auf meine Aufgaben bei der U-21. Und mit den Olympischen Spielen und der darauffolgenden EM haben wir zwei interessante Herausforderungen vor uns.