Auf den Tag genau heute vor 66 Jahren lief die englische Nationalmannschaft mit dem Nimbus der Unbesiegbarkeit im Londoner Wembleystadion auf. Dieser schien durch Spieler wie Billy Wright, Stanley Matthews und Stan Mortensen durchaus gerechtfertigt. Hinzu kam noch die Tatsache, dass England bis zu diesem Zeitpunkt noch nie ein Heimspiel gegen ein Team von außerhalb der britischen Inseln verloren hatte.
Die meisten Experten vertraten die Ansicht, dass sich das trotz des starken Gegners auch an diesem Tag nicht ändern würde. Ungarn war damals amtierender Olympiasieger und seit 22 Partien ungeschlagen. Mit Mittelfeldspieler Jozsef Bozsik, den Flügelspielern Laszlo Budai und Zoltan Czibor, Spielmacher Nandor Hidegkuti sowie den Angreifern Ferenc Puskas und Sandor Kocsis verfügten die Magyaren zudem über ein gefürchtetes Offensiv-Sextett.
Schwierigkeiten auf Seiten der Ungarn
Allerdings musste Trainer Gusztav Sebes mit zahlreichen Problemen fertig werden: Czibor und Kocsis waren bei einem nächtlichen Saufgelage erwischt und für die Spiele gegen die Tschechoslowakei und Österreich nicht berücksichtigt worden. Die beiden kamen zum letzten Test der Ungarn vor dem Spiel in Wembley wieder in die Mannschaft, doch dieses endete mit einer Enttäuschung: Gegen Schweden, das man nur wenige Monate zuvor auswärts mit 4:2 besiegt hatte, gab es in Budapest nur ein 2:2.
"Gegen die Schweden haben wir sehr schlecht gespielt und wurden daraufhin von den ungarischen Fans und Medien regelrecht zerrissen", erinnerte sich Puskas. "Es hieß: 'Fahrt erst gar nicht nach Wembley. England wird euch vernichten'."
Doch damit nicht genug: Ungarn durfte nicht auf dem Rasen des Wembleystadions trainieren und auch der Einspruch gegen den "schweren" englischen Ball wurde abgewiesen. Am Tag des Spiels erkrankte Torhüter Gyula Grosics zudem an einer Nebenhöhlenentzündung. Auch der psychologische Nachteil lag auf Seiten der Ungarn, die bei ihrem letzten Gastspiel in England im Jahr 1936 eine bittere 2:6-Niederlage hatten hinnehmen müssen.
Puskas für England wie ein "Marsmensch"
Nicht einmal Puskas' originelle und kapriziöse Dribblings im Mittelkreis konnten das Selbstvertrauen der Engländer ankratzen. "Wir kannten Puskas nicht. Keiner dieser Spieler war uns ein Begriff. Für uns waren sie als Gegner wie Marsmenschen", sagte der spätere Nationaltrainer Bobby Robson, der damals 20 Jahre alt und einer von 100.000 Fans im Stadion war. "Wir dachten, wir könnten die Ungarn regelrecht überfahren. England im Wembleystadion: Wir sind die großen Meister, sie sind die Schüler."
Die Schüler benötigten jedoch nur 50 Sekunden, um zum ersten Mal zuzuschlagen. Bozsik spielte Hidegkuti frei, der mit einer cleveren Täuschung einen Gegenspieler stehen ließ und den Ball aus 18 Metern in der rechten oberen Ecke des Tores von Gil Merrick unterbrachte. Jackie Sewell erzielte den Ausgleich für die Engländer, doch nachdem ein großartiger Treffer der Ungarn nicht gegeben worden war, brachte Hidegkuti seine Mannschaft erneut in Führung.
Dann erzielte Puskas ein Tor, für das er bis in alle Zeiten verehrt werden sollte. Mit einer geschickten Täuschung, bei der er ähnlich wie ein Torero vor einem heranstürmenden Stier einen Schritt zur Seite machte, ließ der ungarische Kapitän seinen Gegenspieler Wright ins Leere grätschen. "Bei neun von zehn solcher Tacklings hätte ich den Ball erobert. Doch diesmal war mein Gegenspieler der unvergleichliche Puskas und ich hatte das Nachsehen", erinnert sich der englische Verteidiger.
Schmeichelhafte Niederlage für England
Der Major, wie Puskás genannt wurde, bezwang auch Torhüter Merrick und erhöhte in der 27. Minute auf 4:1, ehe Mortensen die Engländer noch einmal heranbrachte. *Der Major_ zirkelte den Ball gekonnt an Merrick vorbei und wurde seinem Ruf als Serientorschütze einmal mehr gerecht. Ein Ruf, für den 2009 der FIFA Puskás-Preis eingeführt wurde, um die schönsten Tor des Jahres zu ehren.
Nach der Halbzeitpause wurde die Kluft zwischen diesen beiden Mannschaften noch augenscheinlicher: Bozsik und Hidegkuti erzielten weitere Treffer für die Ungarn, das Elfmetertor von Alf Ramsey war nur noch Ergebniskosmetik. Angesichts der abgegebenen Torschüsse (Ungarn: 35, England: 5) war die 3:6-Niederlage für die Gastgeber am Ende noch schmeichelhaft.
"Es war, als würden Ackergäule gegen Rennpferde eingesetzt", sagte Tom Finney, der dieses Spiel verletzungsbedingt verpasste, aber bei der kaum überraschenden 1:7-Niederlage in Budapest sechs Monate später auf dem Platz stand. "Sie spielten einfach großartig. Ihre Taktiken hatten wir noch nie zuvor gesehen." Matthews konnte dem nur zustimmen: "Diese tolle ungarische Mannschaft war die beste aller Zeiten."
Weder in punkto Formation noch in punkto Taktik fand die Elf von Walter Winterbottom ein Rezept gegen diesen starken Gegner. Ungarn war im Ballbesitz unberechenbar und auch bei Ballbesitz des Gegners nicht abzuschütteln. Im Mittelpunkt dieser Lehrstunde stand Sebes, der die Engländer mit seiner modernen Spielweise vor ein unlösbares Problem stellte.
Im Fussball gab es mit Herbert Chapman, Vittorio Pozzo, Karl Rappan, Jimmy Hogan und Marton Bulovi schon zahlreiche Wegbereiter einer innovativen Spielweise, doch Sebes' Leistung gegen das Mutterland des Fussballs sollte den Fussballsport tiefgreifender verändern.
Ungarn der Lehrmeister für England
"An diesem Tag habe ich von den Ungarn mehr über Taktik gelernt als in all den Jahren davor", erklärte Ramsey. Elf Jahre später, bei der FIFA Weltmeisterschaft™ 1966, führte er die englische Nationalmannschaft zum Sieg. Bela Guttmann sprach von einem "großen Einfluss" auf seine Trainingsmethoden. Anfang der 60er Jahre führte er Benfica Lissabon zu mehreren Europapokalsiegen. Rinus Michels, FIFA-Trainer des Jahrhunderts, sprach sogar davon, dass diese großartige ungarische Nationalmannschaft "den Grundstein" für seine eigenen Erfolge gelegt hätte.
Da das Schicksal der Magyaren jedoch eine unerwartete Wendung nehmen sollte, war dieses "Jahrhundertspiel" zugleich der Höhepunkt der ungarischen Fussballgeschichte. Aber wie viele andere Mannschaften können schon auf solch einen außergewöhnlichen und geschichtsträchtigen Meilenstein zurückblicken?