Shokdran Mustafi nimmt unter den deutschen Weltmeistern von 2014 eine Sonderstellung ein – schließlich ist der Defensiv-Spezialist der einzige von ihnen, der noch nie in der Bundesliga auflief.
Der 1992 als Sohn albanischer Eltern in Bad Hersfeld geborene Fussballer wechselte bereits als 17-Jähriger aus der Jugend des Hamburger SV nach England. "Nach Everton zu gehen, war keine leichte Entscheidung, aber es wurde mich dadurch erleichtert, dass es immer ein Traum von mir war, in der Premier League zu spielen", so Mustafi, der allerdings in drei Jahren bei den Toffees nur zu einem einzigen Einsatz als Einwechselspieler kam, im exlusiven Interview mit FIFA Football. "Als 17-Jähriger war es schwer zu akzeptieren, dass ich nicht spielen durfte. Ich hatte das Gefühl, mehr spielen zu müssen, da ich noch in der Entwicklungsphase war. Aber in England bin ich in den zweieinhalb Jahren zum Mann gereift."
Dass es so nicht weitergehen konnte, wurde ihm dann irgendwann klar: "Ich musste den nächsten Schritt machen. Als 20-Jähriger musste ich spielen." Der Wechsel in die Serie A zu Sampdoria war die logische Konsequenz, denn in Italien gelang Mustafi der Durchbruch zum anerkannten Profi und Stammspieler, und so spielte er sich kurz vor der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2014™ in den Fokus sowohl der deutschen als auch der albanischen Nationalmannschaft.
"Es ist nicht so ganz einfach, wenn deine Eltern aus einem Land kommen, du selber aber in einem anderen aufgewachsen bist", bekannte der Abwehrspieler, erläuterte dann aber seine Beweggründe, weiter für die DFB-Auswahl auflaufen zu wollen: "Bereits ab der U-15 habe ich die deutschen Jugendnationalmannschaften durchlaufen, daher war für mich klar, dass ich diese Strecke weitergehen werde. Ich bin stolz darauf, Deutschland zu repräsentieren, aber ich werde auch meine Vorfahren nicht vergessen." Und in der Tat zählte er schon bei der FIFA U-17-Weltmeisterschaft 2009 zum deutschen Kader und erzielte dort in vier Spielen sogar ein Tor, nachdem er im selben Jahr mit Deutschland U-17-Europameister geworden war.
"Was passiert hier gerade?" Die Berufung Mustafis, der bis zu seinem Wechsel zum HSV eigentlich ein Stürmer war, in den vorläufigen WM-Kader Deutschlands war bereits eine Überraschung, die Nachnominierung für den verletzten Marco Reus ebenso. "Für mich war klar, dass ich nicht erste Wahl war. Ich wollte in Brasilien aber alles geben und der Mannschaft so gut ich konnte helfen", erinnert er sich. Dass es gleich im ersten Gruppenspiel gegen Portugal (4:0) so weit sein würde, hatte er nicht unbedingt erwartet. "Ich wurde für meine Einstellung belohnt. Ich wurde im ersten Spiel eingewechselt und dachte mir, als ich auf den Platz kam: 'Was passiert hier gerade? Wie bin ich bei einer WM in die deutsche Nationalmannschaft gekommen?' Nach meiner ersten Ballberührung waren aber all diese Gedanken und Ängste verschwunden."
Als das Achtelfinale gegen Algerien anstand, hatte sich der 1,84 Meter große Verteidiger einen Platz in der Startelf erobert, doch dann fand seine märchenhafte Geschichte ein abruptes Ende: "Dass ich mich dann verletzt habe, war natürlich ärgerlich. Aber ich habe schon gespürt, dass etwas mit dem Muskel nicht stimmt, es hat einfach geschmerzt und ich habe gemerkt, dass es nicht mehr weitergeht." Eine Abreise kam für Mustafi aber nicht in Frage: "Ich wollte als Teil der Mannschaft in Brasilien bleiben, obwohl es hart war, zuschauen zu müssen. Wenn du zuguckst und mitmachen willst, kribbelt es einfach in den Beinen, und man will eigentlich spielen." Die Belohnung in Gestalt einer WM-Sieger-Medaille baumelte letztendlich am 13. Juli in Rio den Janeiro um seinen Hals.
Glücklicherweise ist nach dem Turnier im Fussball ja immer auch irgendwie vor dem Turnier, so dass es für den 23-Jährigen nun neue Ziele gibt. "Ich hoffe, dass ich bei der Europameisterschaft dabei sein darf, oder bei der WM in Russland", sagte er. "Wir sind eine Mannschaft, die sich keine Limits gesetzt hat. Ich bin überzeugt, dass wir großes Potenzial in der Mannschaft haben." Vielleicht reicht es für Mustafi und Deutschland ja auch in Frankeich zu einer weiteren Medaille.