Johansson schießt Schweden im Jahr 2017 gegen Italien zur Weltmeisterschaft
Er selbst kann aber beim Turnier nicht mit dabei sein
Seinem Land rechnet er bei den diesjährigen Entscheidungsspielen gute Chancen aus
Im Jahr 2017 setzt sich Schweden in den Playoffs überraschend gegen den Favoriten aus Italien durch und fährt zur FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2018™ nach Russland. In insgesamt 180 Minuten fiel damals nur ein Treffer, der in Schweden Ekstase und in Italien tiefe Enttäuschung auslöste. Jakob Johansson erzielte diesen goldenen Treffer.
Vor den diesjährigen Entscheidungsspielen haben wir uns mit dem 18-fachen schwedischen Nationalspieler ausführlich unterhalten. Im Interview erzählt er uns die Geschichte seines ersten und einzigen Länderspieltores für die Tre Kronor und erklärt, warum er sich am Ende darüber nur eingeschränkt freuen konnte. Der 31-Jährige gibt uns einen Einblick in sein Seelenleben in den Wochen und Monaten nach dem Erfolg gegen Italien und blickt voraus auf die aktuell anstehende Aufgabe der schwedischen Nationalmannschaft in den diesjährigen Playoffs.
FIFA: Herr Johansson, nach Stationen bei AEK Athen und Stade Rennes sind Sie 2020 zum IFK Göteborg zurückgekehrt – dem Verein, bei dem Ihre Profi-Karriere einst begann. Letztes Jahr haben Sie dann dort Ihre Karriere beendet. Was hat Sie zu dieser Entscheidung bewegt?
Johansson: Im Endeffekt waren es die vielen Verletzungen, mit denen ich in den letzten Jahren zu kämpfen hatte. Seit 2017 hatte ich immer wieder Probleme mit meinen beiden Knien. Große Probleme. Ich hatte danach zu keinem Zeitpunkt jemals wieder so richtig das Gefühl, bei einhundert Prozent zu sein. Ich habe zwar viele Spiele gemacht, aber es dauert einfach eine gewisse Zeit, um vollständig zu regenerieren – und dann kamen immer wieder neue und alte Verletzungen hinzu.
In meinem letzten Jahr als Profi hatte ich viele Schmerzen und war deshalb oft mit den Ärzten und Physiotherapeuten im Austausch. Aber es gab nicht viel, was man tun konnte, um die Schmerzen loszuwerden. Letztendlich habe ich dann beschlossen, meine Karriere in Göteborg zu beenden.
Sie erinnern sich vermutlich sehr gut an Freitag, den 10. November 2017…
Diesen Tag werde ich immer in Erinnerung behalten. Es gab so viel Aufmerksamkeit rund um unser Nationalteam, aber auch um mich, obwohl ich nicht in der Startelf gestanden hatte. Nach diesem Tag hatten wir als Team extrem viel Selbstvertrauen für die weiteren Aufgaben gesammelt.
An diesem Tag fand in Solna Schwedens WM-Playoff-Hinspiel gegen Italien statt. Sie sind nach einer knappen Stunde eingewechselt worden. Hat Trainer Janne Andersson Ihnen etwas Bestimmtes mit auf den Weg gegeben?
Seine exakten Worte habe ich nicht mehr parat. Ich sollte Albin Ekdal im zentralen Mittelfeld positionsgetreu ersetzen und einfach mein Spiel spielen, also hart arbeiten und die Rolle vielleicht ein kleines bisschen defensiver interpretieren. Ich glaube, dass meine Spielweise gerade gegen die Italiener sehr gut gepasst hat, weil wir einiges an Defensivarbeit zu verrichten hatten.
Wir trafen auf einen sehr starken Gegner. Aber wir haben gut dagegengehalten und den Italienern einen echten Kampf geliefert. Italien war zwar der Favorit, aber ich finde, dass wir in diesem Spiel nicht wie ein klassischer Underdog aufgetreten sind. Wir hatten das Spiel ganz gut unter Kontrolle und wollten uns natürlich eine gute Ausgangslage für das Rückspiel verschaffen.
Wenige Minuten, nachdem Sie eingewechselt wurden, gibt es einen Einwurf für Ihre Mannschaft auf dem rechten Flügel. Wie würden Sie selbst beschreiben, was danach passierte?
Es war eigentlich ein normaler Einwurf. Ich habe mich vor dem gegnerischen Strafraum postiert, um eventuell einen zweiten Ball abzufangen und habe die exakte Entstehung gar nicht mehr genau vor Augen, aber auf einmal kam der Ball auf mich zu. Ich wusste, dass ich halbwegs in der Nähe des Tores war, habe einfach draufgehalten und dabei versucht, den Ball nach unten zu drücken. Denn in einer solchen Situation geht der Ball auch gerne mal in den Himmel.
Ich war zunächst nicht sonderlich überzeugt von meinem Schuss, aber ich konnte ihn flach halten und er ging auch in Richtung Tor. Dann habe ich einfach hinterhergeschaut. Natürlich war ein bisschen Glück dabei, dass er dann abgefälscht wurde. Nachdem der Ball im Tor war, herrschte einfach nur Euphorie. Ich bin nicht gerade als Goalgetter bekannt, aber das war natürlich ein sehr wichtiges Tor in einem sehr wichtigen Spiel. Das hat nicht nur mir und dem Team sehr viel bedeutet. Das war ein sehr schöner Moment für die gesamte schwedische Fußballfamilie. So etwas vergisst man einfach nicht.
Jakob Johanssons goldener Treffer gegen Italien
Sie hatten Ihr erstes Länderspieltor erzielt – nicht gerade ein unwichtiges. Beim Rückspiel stehen Sie in der Startelf, mit guten Chancen, sich gegen favorisierte Italiener für die WM zu qualifizieren. Das gelingt am Ende auch. Kann man trotzdem sagen, dass für Sie persönlich in diesem Spiel bereits nach 19 Minuten eine Welt zusammengebrochen ist und Sie zum tragischen Helden wurden?
Absolut. Es war eigentlich eine völlig unscheinbare Situation. Ich wollte nur die Richtung ändern und fühle plötzlich eine Art Klick in meinem Knie. So etwas hatte ich noch nie gespürt. Ich war zuvor nie wirklich schwer verletzt und wusste direkt, dass es etwas Ernstes sein muss. Es tat höllisch weh.
Da waren einfach so viele Emotionen an diesem Abend im Spiel. Für mich persönlich war es ein echtes Desaster. Ich wusste sehr schnell, dass es extrem schwierig werden würde, rechtzeitig zur WM wieder fit zu werden. Es ist unfassbar schwer in Worte zu fassen. Ich wusste nicht, was ich denken sollte.
Man kann sich die gemischten Gefühle in dieser Situation sehr gut vorstellen. Wie ging es für Sie direkt im Anschluss weiter? Konnten Sie den Rest des Spiels noch irgendwie mitverfolgen?
Nein, ich bin direkt ins Krankenhaus gefahren worden. Nach der Röntgenuntersuchung sagten mir die Ärzte, dass sie eine gute und eine schlechte Nachricht hätten. Ich habe also im gleichen Moment sowohl von unserer erfolgreichen Qualifikation als auch von meiner schweren Verletzung erfahren. Natürlich habe ich mich sehr darüber gefreut, dass wir die Qualifikation geschafft haben. Gleichzeitig war ich aber auch todunglücklich.
Kreuzbandriss. Ein Jahr Pause. Sie schießen ihr Land zur WM, können wegen der Verletzung aber selbst nicht daran teilnehmen. Was ging Ihnen während dieser schwierigen Zeit alles durch den Kopf?
Es war keine einfache Zeit, aber ich habe sehr viel Unterstützung erhalten. Nicht nur von der Nationalmannschaft, sondern auch von meinem damaligen Verein, AEK Athen. Ich durfte den Großteil der Reha zu Hause in Schweden machen.
Mental habe ich es relativ gut weggesteckt. Natürlich war es manchmal schwer, aber man kann die Situation ja auch nicht mehr ändern. Ich wusste, dass es eine Verletzung war, bei der man vorsichtig sein muss und nichts überstürzen darf. Man muss die Reha ernst nehmen und während dieser Zeit gewissenhaft arbeiten. Mein Ziel war es, dass die Karriere weitergeht. Deshalb wollte ich auch mit Blick auf die WM kein Risiko eingehen. Jeder kleine Junge träumt davon, eines Tages eine WM zu spielen. Trotzdem war es mir das nicht wert, meine Karriere zu zerstören. Ich wusste, dass mir die Zeit bis zum Turnierbeginn ganz einfach nicht reichen würde.
Leider hatten Sie auch nach dieser schweren Verletzung immer wieder Knieprobleme. Was macht das mit einem, wenn man wiederholt für eine ganze Weile seinem Beruf nicht nachgehen kann?
Man gewöhnt sich irgendwann daran – auf eine traurige Art und Weise. Als ich nach dem Kreuzbandriss zurückkam, dachte ich, dass ich nach einiger Zeit wieder voll da sein werde. Aber dann kommt die nächste Verletzung und man realisiert, dass es schwer werden würde. Es gibt eine Zeit vor und nach der ersten Verletzung. Ich habe ziemlich schnell festgestellt, dass ich ab diesem Zeitpunkt öfter verletzt sein werde als vorher. Man merkt dann, dass man nicht mehr Anfang 20 ist.
Es war nicht immer einfach. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen und ich wusste, dass ich eines Tages ohnehin aufhören muss. Deshalb habe ich jedes Training und jedes Spiel einfach nur genossen.
Viereinhalb Jahre nach Ihrem Tor gegen Italien stehen beide Mannschaften wieder in den Playoffs - Schweden bereits zum dritten Mal in Folge. Im ersten Spiel geht es gegen die Tschechische Republik. Was spricht Ihrer Meinung nach dafür, dass sich Ihr Land auch diesmal wieder qualifiziert?
Ich besitze zwar keine Insider-Informationen über die Tschechen, aber ich weiß, dass wir in dieser Art von Spielen über viel Erfahrung verfügen. Wir haben viele Spieler, die bereits einmal in dieser Situation gewesen sind. Das spricht für uns. Aber natürlich auch die Qualität der Mannschaft. Wir haben einen guten Mix aus jungen, talentierten und älteren, erfahrenen Spielern. Das ist meiner Meinung nach sehr wichtig – ganz besonders in diesen Alles-oder-Nichts-Spielen. Daher habe ich ein gutes Gefühl.
Welcher Spieler im schwedischen Team sticht Ihrer Meinung nach am meisten heraus?
Der offensichtlichste Name ist wahrscheinlich Alexander Isak. Das ist jetzt vielleicht kein Geheimtipp, aber der Junge hat sich in den vergangenen Jahren in der Nationalmannschaft und auch in Spanien enorm weiterentwickelt. Seine Leistungen hat natürlich auch der Rest Europas wahrgenommen.
2017 hat er Ihr Tor noch von der Tribüne aus bejubelt – inzwischen ist Zlatan Ibrahimovic zurück in der Nationalmannschaft. Wie würden Sie seine Bedeutung für das Team beschreiben?
Zlatan spricht für sich. Den muss ich niemandem mehr großartig vorstellen. Er ist seit zwei Jahrzehnten ein Superstar und es ist unfassbar beeindruckend, dass er immer noch so gut ist. Man sollte meinen, dass das eigentlich nicht möglich sein kann. Er hatte zwar zuletzt auch immer wieder mal mit Verletzungen zu kämpfen, aber wir alle kennen Zlatan. Wenn er auf dem Platz steht, ist alles möglich. Ein Superstar eben.
Lassen Sie uns zum Schluss noch kurz in die Kristallkugel schauen. Wenn Sie bereits heute einen Weltmeister-Tipp abgeben müssten, welches Team sehen Sie dafür in der Pole Position?
Das ist immer eine schwierige Frage, besonders so weit im Vorfeld des Turniers. Denn wenn es erst einmal losgeht, wird auch vieles von der Form der einzelnen Spieler abhängen. Aktuell würde ich Frankreich sagen. Sie haben, wie immer, eine starke Mannschaft, die sehr gut harmoniert. Aber wenn Sie mich in sechs Monaten noch einmal fragen, kann es gut sein, dass ich dann etwas anderes sage.