Emma Hayes gewann in der letzten Saison ihren dritten Titel mit dem FC Chelsea
Sie verstärkte ihr Team mit Topstars wie Sam Kerr und Pernille Harder
Hayes spricht über das Fernduell mit Lyon, den Lockdown und die Trainerarbeit während COVID-19
Emma Hayes' Erfolgsgeschichte beim FC Chelsea steht sinnbildlich für die jüngste Entwicklung des Frauenfussball in England insgesamt.
Als sie das Team 2012 übernahm, waren die Blues nach Hayes eigenen Worten ein "Amateurteam". Und keineswegs das einzige.
Nur acht Jahre später ist Chelsea das genaue Gegenteil eines Amateurteams. Stattdessen verkörpern Hayes und ihr Team perfekt die Visionen und Ambitionen und auch die uneingeschränkte Professionalität, die die gesamte FA Women's Super League (WSL) zur angesagtesten Liga im Frauenfussball gemacht hat.
Dass Chelsea die beiden prominentesten Transfers der Liga gelangen (Sam Kerr und Pernille Harder) unterstreicht eindrucksvoll den Status des Teams als Galionsfigur der Liga. Zudem wurden auch noch Melanie Leupolz und Jessie Fleming geholt, um das ohnehin mit Stars gespicktes Team weiter zu verstärken, in dem Spielerinnen wie Erin Cuthbert, Fran Kirby, Ji Soyun, Maren Mjelde und Bethany England um die Stammplätze kämpfen.
Und Hayes' Aufgabe? Sie will den Vorsprung im eigenen Land zementieren und die Vormachtstellung Lyons auf der europäischen Bühne durchbrechen, indem sie aus ihrem Starensemble ein perfekt funktionierendes Team formt. Für diese Aufgabe scheint niemand besser geeignet als die geradlinige Londonerin.
Die heute 44-Jährige Trainerin, die als 20-Jährige ihre ersten Gehversuche in diesem Beruf machte, gilt als eine der führenden Trainerinnen und fühlt sich stark wie nie zuvor. Gegenüber FIFA.com erzählte sie, dass sie sich nach der Zwangspause durch COVID erfrischt fühlt und darauf brennt, ihr Team in eine spannende, wenn auch ungewisse Zukunft zu führen.
Emma, sind Sie zufrieden mit dem Saisonauftakt ihres Teams, das bisher noch ungeschlagen ist?
Ich habe gelernt, dass man in der Frühphase einer Saison zwar keinen Titel gewinnen kann, aber ihn sehr wohl bereits verspielen kann. Ich denke, wir haben einen sehr soliden Start hingelegt. Ich sehe, dass wir uns steigern und ich bin zufrieden, wie sich die neuen Spielerinnen ins Team einfügen.
Sie legen großen Wert auf die Teamkultur, die Sie bei Chelsea etabliert haben. Fügen sich die Neuzugänge auch in dieser Hinsicht gut ein?
Ja, unbedingt. Das sind alles fantastische Persönlichkeiten. Am wichtigsten ist mir, dass sie sich gut integrieren, in unsere Arbeitsweise und in unsere Spielweise. Das dauert natürlich seine Zeit, denn sie haben neue Teamkameradinnen, neue Trainer und neue Arbeitsweisen. Um unser Ethos und unsere Prinzipien zu verinnerlichen, ist eben etwas Zeit nötig. Doch sie alle sind großartige Fussballerinnen und sie brennen darauf, zu lernen und sich zu verbessern. Mehr kann ich nicht verlangen.
Genießen Sie die taktische Herausforderung, all diese talentierten Angreiferinnen in einem Team zu vereinen und die richtige Mischung und Balance zu finden?
Ja, auf jeden Fall. Diese Herausforderung besteht in jeder Saison, bei jeder Gruppe. Eines weiß ich ganz sicher: Man muss sich weiterentwickeln, um sich zu verbessern. Was uns im vergangenen Jahr zum Titelgewinn geführt hat, würde in diesem Jahr wohl nicht mehr reichen. Man muss stets neuen Herausforderungen begegnen. Für die Spielerinnen bedeutet dies, offen für neue Partnerschaften und Herausfordreungen zu sein, wenn wir erneut den Gipfel erklimmen wollen. Glücklicherweise haben wir genau die richtigen Spielerinnen im Team, die das verstehen und diese Herausforderung annehmen.
Wir haben das enorme Glück, tolle, talentierte Spielerinnen im Klub zu haben. Wie sich das alles auf dem Feld zusammenfügt, weiß man allerdings nicht im Voraus. Es ist jedenfalls eine faszinierende Herausforderung und als Trainerin freue ich mich sehr, dass sich diese Spielerinnen für Chelsea entschieden haben, weil sie sich beweisen und nach ganz oben wollen. In der Defensive haben wir schon in den vergangenen Jahren zur Genüge bewiesen, dass wir auf höchstem Niveau mitspielen können. In der Offensive hingegen war noch Luft nach oben, das hat sich insbesondere auf europäischer Ebene gezeigt. Angesichts der Entwicklung des Teams in den vergangenen zwei Jahren und mit den Neuverpflichtungen, die wir geholt haben, sind wir in diesem Bereich definitiv auf dem richtigen Weg.
Stehen Sie in dieser Saison vor besonderen Herausforderungen angesichts der Vielzahl von Weltklassespielerinnen, von denen einige unausweichlich auch mal auf der Bank sitzen müssen?
Ich kenne jedenfalls keine zufriedene Bank und wer als Trainer behauptet, es wäre so, lügt. Ich versuche nicht einmal, alle zufrieden zu machen, denn ich weiß, dass das schlichtweg unmöglich ist. Aber ich versuche, alle engagiert und motiviert zu halten, damit wir alle auf das gemeinsame Ziel hinarbeiten. Denn in dem Moment, in dem das nicht mehr der Fall ist, bedeutet es eine enorme Schwächung des Teams. Mein Job besteht darin, alle auf dem richtigen Weg zu halten.
Was sind für Sie die größten Herausforderungen bei der Trainerarbeit mitten in der Pandemie?
Ich empfinde es als sehr fremdartig, dass wir ohne Fans spielen müssen, auch wenn das schon als neue Normalität bezeichnet wird. Unsere Spielerinnen, insbesondere die aus dem Ausland, müssen sich daran gewöhnen, dass sie nicht nach Hause reisen können, um ihre Familien zu besuchen. Sie können unsere Blase zwar verlassen, aber nur, um bei ihren Nationalteams gleich wieder in eine andere Blase zu gehen. Das ist nicht schön. Es ist doch selbstverständlich, dass sich die Leute Sorgen um ihre Familien machen bei all dem, was passiert. Wir können wegen der COVID-Maßnahmen auch als Team nicht so zusammenkommen, wie wir gern würden. Viele Möglichkeiten, den Zusammenhalt im Team zu stärken, gibt es derzeit nicht. Also müssen wir nach anderen Wegen suchen, Gemeinsamkeit und Teamgeist zu fördern, denn das ist überaus wichtig.
Wie haben Sie die Zeit empfunden, als der Fussball vor einigen Monaten komplett zum Erliegen kam? War es für Sie eine Qual, oder haben Sie in dieser Zwangspause auch positive Seiten gesehen?
Ehrlich gesagt habe ich diese Zeit genossen! Es war toll, zu Hause zu sein, viel Zeit mit meinem Sohn zu verbringen, mal durchzuatmen und etwas Abstand zu bekommen, um die Bausteine für diese Saison vorzubereiten. Es war die erste Auszeit in meiner Karriere seit 2010. Ich war letztlich also sogar froh darum und fühle mich jetzt wohler.
Es gab ziemlich düstere Vorhersagen, wie sehr COVID möglicherweise den Frauenfussball zurückwerfen könnte. Was muss Ihrer Meinung nach geschehen, damit der Schwung der vergangenen Jahre erhalten bleibt?
Ich finde, wir haben in England fantastische Arbeit geleistet und gezeigt, was getan werden muss. Der Verband hat vieles richtig gemacht und die Klubs haben mit ihren Neuverpflichtungen ebenfalls gezeigt, dass diese Liga ein Traumziel ist. England hat sich zu einem Leuchtfeuer des Frauenfussballs entwickelt. Darauf bin ich sehr stolz.
Was sagen Sie zu diesem Zustrom von Topstars in die WSL und zu der oft geäußerten Ansicht, dass dies mittlerweile die führende Frauenliga der Welt ist?
Das ist einfach super. Die Liga strotzt regelrecht vor Klasse, und das nicht nur bei uns selbst, Arsenal und [Manchester] City, sondern in der ganzen Liga. Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass dies die angesagteste Liga ist, weil es eben nicht nur zwei, drei starke Teams gibt. Wir sehen jetzt sechs bis acht wirklich herausragende Teams in der Liga, und das finde ich fantastisch, denn ich will in erster Linie Fortschritte im Frauenfussball sehen – das hat die höchste Priorität. Mehr konkurrenzfähige Teams machen meine Arbeit schwieriger, aber sie bringen letztlich auch ein besseres Produkt hervor und machen es damit für Fernsehanstalten und Sponsoren attraktiver, daher begrüße ich das unbedingt.
Eine Frage noch zu Lyon und der UEFA Champions League der Frauen. Was sagen Sie zu den dort erzielten Erfolgen? Erleben wir jetzt die Saison, in der die Vorherrschaft Lyons zu Ende geht?
Lyon gebührt höchste Anerkennung für alles, was man dort für den Frauenfussball getan hat, und dafür, wie viel sie in den Fussball investiert haben. Lyon ist der Klub mit den größten Ausgaben und dies drückt sich dann auch in der Dominanz aus. Wir haben ein Team aufgebaut, dass mit Lyon konkurrieren kann, und wir haben uns von Jahr zu Jahr weiter verbessert. Mittlerweile gehören wir zu den Top-Teams Europas, gemeinsam mit Paris Saint-Germain, Barcelona, Wolfsburg und Manchester City. Ich habe sehr hohe Erwartungen. Aber ich weiß auch, dass wir gegen die allerbesten Teams der Welt antreten werden. Wir wollen unsere Ziele erreichen, doch das Umfeld ist stärker als je zuvor - und genau so muss es auch sein.
Sie und die Spielerinnen von Chelsea haben ihre WSL-Meisterschaftsprämie im vergangenen Jahr an die Organisation Refuge gespendet. Können Sie uns etwas mehr dazu sagen?
Es handelt sich um eine Hilfsorganisation, die allen bei Chelsea besonders viel bedeutet, insbesondere im Frauenteam. Wir hielten es für angemessen, dass wir in dieser äußerst schwierigen Zeit, in der die Menschen nicht aus ihrer gewohnten Umgebung entfliehen können, einen Beitrag leisten, der hoffentlich ein bisschen zur Entzerrung beiträgt. Es ging bei dieser Spende um mehr als nur Geld – sie war eine Botschaft, dass man nie allein ist, dass man nirgendwo bleiben muss, wo man sich nicht sicher fühlt. Es gibt Hilfe und Refuge ist eine fantastische Organisation, die bereitsteht, um derartige Hilfe zu leisten.