Fussball in Deutschland hat Tradition. Die Begeisterung ist seit jeher riesengroß und die Erfolge lassen sich sehen. Mit vier Welt- und drei Europameister-Titeln gehört man zu den erfolgreichsten Nationen. Gefühlt wird im schwarz-rot-goldenen Lande schon seit Jahrhunderten mit dem runden Leder jongliert, geschossen und gepasst. Doch dem ist keineswegs so.
Dem geneigten Fussball-Fan werden vielleicht Begriffe wie Episkyros, Harpastum oder Popo bekannt sein. Sie alle bezeichnen die oftmals bezeichnete "wichtigste Erfindung der Menschheit": den Ball. Genauer gesagt: den Fussball. Denn schon seit Menschengedenken wird gekickt - ein Tritt gegen einen Stein oder einen Knochen, so oder ähnlich mag in der Steinzeit alles begonnen haben. Die Chinesen verwendeten vor 3.000 Jahren eine mit Haaren oder Federn gefüllte Tierhaut als Spielgerät. Tsu chu nannte sich das Spiel - einem Vorläufer des modernen Fussballs.
In Deutschland dagegen liegen die Anfänge gar nicht einmal so lange zurück. Erst 1874, genauer gesagt am 29. September, wurde das erste Fussballspiel auf deutschem Boden ausgetragen - und das nach erheblichem Widerstand. Initiator war Lehrer Konrad Koch, der eine Weile in England gelebt hat und in jenem Jahr an ein Braunschweiger Gymnasium kam. Eben jener wurde am 13. Februar 1846 in Braunschweig geboren und verstarb am 13. April 1911.
Frisch-Fromm-Fröhlich-Frei
Er war der Erste, der Fussball an einer deutschen Schule einführte und den ersten Schülerverein gründete. Zu Beginn wurde die Rugby-Variante - anfangs sogar mit einem Rugby-Ei - gespielt. Entsprechend war auch in den Regeln das "Aufnehmen des Balles", also Handspiel, unter bestimmten Bedingungen noch erlaubt. Erst später orientierte sich der Fussball-Pionier an den Regeln des englischen "Association Football", und man spielte durchgehend "Fussball ohne Aufnehmen". Auch Trillerpfeife und Elfmeter kamen später hinzu.
Ein Jahr nach dem ersten Spiel legte Koch die ersten Fussballregeln in deutscher Sprache vor: "Die Aufgabe jeder Gespielschaft ist, den Ball über die Querstange des feindlichen Males [Anm.d.Red.: Mal bedeutet Tor] zu stoßen", ist dort zu lesen. Kochs Regelwerk trug noch die vier F für "frisch-fromm-fröhlich-frei" der von "Turnvater Jahn" geprägten Turnerschaft, was deutlich macht, dass Koch den Fussball als Teil des Turnens und nicht als Alternative zum Turnen betrachtete.
Doch gerade die Deutsche Turnerschaft und die Turnlehrerverbände hatten starke Vorbehalte gegen das Spiel und bezeichneten es als "Englische Krankheit". Jene Anfeindungen motivierten Koch, selbst die fussballspezifischen Fachbegriffe ins Deutsche zu übersetzen und somit den Fussball in Deutschland heimisch zu machen. Dabei nutzte er zu einem großen Teil den Wortschatz des Militärs und Begriffe wie Verteidigung, Angriff, Stürmer, Strafstoß, Attacke, die bis heute erhalten geblieben sind.
Nur gemeinsam zum Erfolg
Auch die Aufstellung der Mannschaft war in den Regeln von Koch festgehalten. Man spielte damals mit einer heute kaum vorstellbaren 5er-Kette im Sturm und zelebrierte mit einem 2-3-5-Spielsystem Offensivfussball vom Feinsten. Aber egal nach welchen Regeln gespielt wurde, die Pioniere des Fussballs von damals waren davon überzeugt, dass Fussball verbindet. Ob arm, reich, klug oder weniger intelligent - alle spielen gemeinsam in einer Mannschaft, und nur gemeinsam können sie eine gute Leistung erbringen.
Nichtsdestotrotz musste Koch mit seinen Ideen zu Beginn gegen jene kämpfen, denen er mit dem Fussball eigentlich helfen wollte. Zeitweise war es Schülern und Lehrern verboten, Fussball zu spielen. Nach und nach wurde sein Einsatz belohnt. Die Gründung des ersten deutschen Fussballvereins für Schüler folgten Vereine in Hannover und Bremen - der Siegeszug des runden Leders war nicht mehr aufzuhalten. Kurioserweise war Koch nie selbst ein großer Fussball-Fan. Er verurteilte bunte Trikots nach englischem Vorbild, Spiele gegen ausländische Teams, Training, große Zuschauermengen und vor allem den Professionalismus.
Auf die nächsten 140 Jahre
Diese Aufgabe übernahm in Deutschland Walter Bensemann, der das kommerzielle Potenzial des Fussballs erkannte. Bensemann gehörte im Jahre 1900 zu den Gründervätern des Deutschen Fussball-Bundes, und wenig später hob er die bis heute angesehene Fussballzeitung Kicker aus der Taufe. Was danach geschah, ist hinreichend bekannt. Der Fussball entwickelte sich zum Volkssport Nummer eins und Deutschland brachte zahlreiche Weltklasse-Akteure hervor. Spätestens seit dem Wunder von Bern, dem WM-Sieg 1954, ist Schwarz-Rot-Gold von der Fussball-Landkarte nicht mehr wegzudenken.
Nun sind fast 150 Jahre seit dem ersten Spiel in Deutschland vergangen und natürlich weiß niemand, was in einer weiteren solch großen Zeitspanne passieren wird, doch es ist keine gewagte Prognose, dass das runde Leder auch in Zukunft eine wichtige Rolle im Land der Dichter und Denker spielen wird.