Das globale Spiel in Andorra
Frauen- und Jugendfussball im Fokus
"Siege wie kleine Endrunden"
7. Oktober 2020, Andorra vs. England, Endstand 3:3!
"Das war ein verrücktes Spiel", konstatierte Englands Trainer Aidy Boothroyd nach dem Schlusspfiff. "Meine Spieler sind völlig am Boden nach diesen drei Gegentoren." Zugegeben, es handelte sich bei dem Duell vor knapp vier Wochen um ein EM-Qualifikationsspiel der U-21-Mannschaften, aber die jungen Three Lions hatten immerhin zahlreiche Top-Talente wie Jude Bellingham (Borussia Dortmund), Callum Hudson-Odoi (FC Chelsea) oder Curtis Jones (FC Liverpool) in ihren Reihen.
Dass Fussball überall auf der Welt gespielt wird und werden kann, haben wir in unserer Serie "Das globale Spiel" hinlänglich gezeigt. Ob im hohen Norden in Grönland, in den Bergen des Himalaya in Bhutan oder weit draußen auf den sagenumwobenen Osterinseln vor der chilenischen Küste - das runde Leder ist allgegenwärtig. Dabei geht es vorrangig nicht unbedingt nur ums Gewinnen, sondern um die Liebe und Freude am Spiel.
So ist es auch in Andorra. Denn wer im Herzen der europäischen Pyrenäen zur Welt kommt, dessen standardmäßige Sportart ist in der Regel das Skifahren. Aufgrund des zerklüfteten Landschaftsprofils sind Fussballplätze in dieser Region auch nicht gerade reich gesät.
"Wir feiern jeden Sieg ausgiebig. Alles Positive ist für uns Grund zum Feiern", erklärte einst Ildefons Lima, Kapitän, Rekordspieler und Rekordtorschütze seines Landes gegenüber FIFA.com.
Gerade einmal zwei offizielle Fussballplätze stehen im größten Zwergstaat des Alten Kontinents zur Verfügung, auf denen alle Spiele der Primera Divisió mit acht Teams stattfinden. Die Nationalmannschaft weicht bisweilen sogar ins Nachbarland Spanien aus.
Andorra in Zahlen
468 Quadratkilometer "groß"
78.000 Einwohner
Gründung am 8. September 1278
Geographie: Im Hochtal der Pyrenäen. 65 Berggipfel übersteigen die 2000-Meter-Grenze
Der niedrigste Punkt ist 840 Meter hoch
Ein Blick in die Geschichte des Fussballs
1994 Gründung des Andorranischen Fussballverbandes FAF
1996 Mitglied der UEFA und FIFA
Erstes Pflichtspiel am 5. September 1998: 1:3-Niederlage in Armenien
Das erste Tor überhaupt erzielte Jesús Lucendo
In den rund zwei Jahrzehnten ihres Bestehens sind der Nationalmannschaft gerade einmal sieben Siege gelungen, wobei der erste vier Jahre und 24 Spiele auf sich warten ließ: Am 26. April 2000 feierte das Team einen 2:0-Erfolg gegen Belarus.
Seitdem durften Lima und seine Teamkameraden weitere sechs Siege feiern, den bis dato letzten gab es letztes Jahr in einem Qualifikationsspiel für die EURO 2020 gegen Moldawien zu vermelden. Etwas ganz Besonderes war der Erfolg gegen Ungarn 2017 im Rahmen der Qualifikation für die WM 2018 in Russland. "Da kamen viele Dinge zusammen, und an diesen Sieg habe ich die schönsten Erinnerungen."
Wenige Monate zuvor hatten die Andorraner eine Negativserie durchbrochen und nach 86 Spielen wieder ein Sieg für Andorra errungen - im Testspiel gegen San Marino. "Für uns war das eine Erleichterung." Und das aus gutem Grund. Kein anderes FIFA-Mitglied musste zuvor so viele Niederlagen in Folge hinnehmen wie Andorra. "Die Freude war natürlich groß, aber gleichzeitig bist du auch etwas traurig, weil dieser Sieg gegen ein Team gelang, das dieselben Dramen erlebt wie das eigene."
Der Triumph, der vierte Andorras seit das Land 1996 Mitglied der FIFA wurde, hat das Team motiviert. Kurze Zeit später konnte eine weitere Durstrecke beendet werden. Das 0:0 gegen die Färöer-Inseln am 25. März im Rahmen der Europa-Qualifikation für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Russland 2018™ war seit elfeinhalb Jahren der erste Punkt in einer offiziellen Partie. "Für uns ist das fast so viel wert wie ein Sieg bei einer WM! Diese Spiele sind für uns kleine Endrunden." Und dann kam das i-Tüpfelchen gegen Ungarn.
Wissenswertes
Vor der Gründung des Fussballverbandes wurde Fussball in Andorra lediglich von Amateuren gespielt, die sich im Freundeskreis zusammentaten und von örtlichen Geschäftshäusern unterstützt wurden
Der FC Andorra spielt als einziger Klub seit 1948 in den unteren Ligen Spaniens, aktuell in der Segunda División B (3. Liga)
Òscar Sonejee war der erste Andorra-Akteur mit 100 Länderspielen. Er beendete seine Nationalmannschaftskarriere 2015 nach 106 Partien
Auf Vereinsebene sorgte Rekordmeister Santa Coloma für Furore, als das Team im Juli 2007 in der ersten Qualifikationsrunde des UEFA-Pokals im Heimspiel Maccabi Tel-Aviv mit 1:0 besiegte. Es war der erste Sieg einer Mannschaft aus Andorra in einem UEFA-Vereinswettbewerb
Im August 1998 wurde die Nationale Fussballschule (ENFAF) gegründet. Ziel: die Ausbildung zukünftiger Generationen
Der Frauenfussball in Andorra
Bereits bei seinem Amtsantritt 2013 sprach FAF-Präsident Victor Santos über die Wichtigkeit der Entwicklung des Frauenfussballs in Andorra und forderte die Schaffung einer A-Frauennationalmannschaft. "Das wird eines unserer konkreten Ziele sein", sagte er. "Mit der Zeit sehen wir mehr und mehr Spielerinnen und wir wollen anfangen, uns auch auf internationalem Niveau zu messen." Außerdem wolle er sich besonders der Verbesserung der Fussballinfrastruktur sowie dem Jugendfussball widmen: "Das ist wesentlich, denn ohne die Jugend gibt es keine Zukunft."
Santos hielt Wort: Die erste Frauen-Nationalmannschaft wurde im Fürstentum 2014 anlässlich eines Entwicklungsturniers unter der Schirmherrschaft der UEFA zusammengestellt. Zum Auftakt gab es einen 1:0-Sieg gegen Gibraltar. Torschützin war Alba López. Als nächstes stand die Vorrunde der Qualifikation für die EURO 2017 auf dem Programm, die mit drei Niederlagen endete.
2017 waren gerade einmal 202 Spielerinnen beim Fussballverband Andorras registriert. 16 Frauenmannschaften gibt es im Fürstentum, wenn man alle Altersklassen berücksichtigt - Tendenz steigend.
In wenigen Tagen werden die Nationalspieler zum letzten Mal in 2020 zusammenkommen, um sich auf einen Dreierpack vorzubereiten. Cristiano Ronaldo und Portugal erwarten Andorra am 11. November, ehe es zum Abschluss der UEFA National League (bislang zwei Unentschieden, zwei Niederlagen) gegen Malta (14.11.) und Lettland (17.11) geht.
Vielleicht gelingt dort der nächste historische Erfolg und sollte CR7 im Anschluss von einem "verrückten Spiel" sprechen, dann würde die weltweite Aufmerksamkeit zweifelsohne um ein Vielfaches größer sein.