Fussball ist nur ein Spiel. Er kann die vielschichtigen Probleme des Alltags nicht lösen. Er heilt keine Krankheiten und liefert keine Antworten auf geopolitische Fragen. Und doch hat der Fussball schon Grenzen und Schranken überwunden, Freundschaften begründet, überkommene Ideologien hinterfragt und eine kurze Atempause von Kriegen beschert. Denn Fussball bietet unabhängig vom kulturellen Hintergrund, von Geschlecht oder Glauben die Gelegenheit, sich auszudrücken und über die universelle Sprache der Bewegung mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Mehr als ein paar grundlegende Elemente sind dazu nicht nötig: Ein Ball, ein Platz, zwei Mannschaften.
Das Königreich Jordanien glaubt, ebenso wie alle 211 Mitgliedsverbände der FIFA, an diese Kraft des Fussballs. Deshalb hat das Land im Nahen Osten auch über Jahre daran gearbeitet und kräftig investiert, um das größte Sportereignis in seiner Geschichte auf die Beine zu stellen – die FIFA U-17-Frauen-Weltmeisterschaft Jordanien 2016, das erste FIFA-Frauenturnier in der Region.
Als am 30. September 17.351 Fans im restlos ausverkauften International Stadium von Amman Platz nahmen, waren darunter auch 250 unscheinbare, angespannte Mädchen. Auf dem Platz vor ihnen starteten gerade elf junge Fussballerinnen im Trikot von Jordanien in ihre erste Weltmeisterschaft überhaupt. Nur wenige Reihen hinter ihnen saß übrigens die spanische Fussballlegende Xavi, Gewinner der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2010™, und winkte strahlend.
Die Fussballgeschichte besagter 250 Mädchen begann im August, als die Trophäe der FIFA U-17-Frauen-Weltmeisterschaft auf ihrer offiziellen landesweiten Tournee im Flüchtlingslager Al Zaatari Station machte. Das 2012 eingerichtete Lager Al Zaatari ist ein nüchternes Mahnmal der Probleme, mit denen sich der Nahe Osten konfrontiert sieht. Die bewaffneten Konflikte in der Region zerreißen seit Jahren Heimat und Familien und berauben tausende Syrer ihrer Menschenrechte und der grundlegenden Menschenwürde. Die Mädchen in Al Zaatari waren entsprechend froh über die kurze Ablenkung, die der Besuch der Trophäe mit sich brachte. Am Ende des Tages gingen sie zurück in ihre vorübergehenden Unterkünfte. Selbst die Jüngsten unter ihnen begriffen dabei, dass das Turnier etwas sein würde, das außerhalb des Flüchtlingslagers stattfindet, in einer anderen, für sie unerreichbaren Welt.
Denn Al Zataari zu verlassen, ist momentan fast ein Ding der Unmöglichkeit. Viele der Bewohner waren noch nie woanders. Mit der Unterstützung der jordanischen Behörden, der FIFA, des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, des Asian Football Development Project (AFDP), der UEFA Stiftung und des Lokalen Organisationskomitees für Jordanien 2016, wurde für die 250 fusballbegeisterten Mädchen aus Al Zaatari heute jedoch das Unmögliche möglich: Sie besuchten das Eröffnungsspiel im Amman International Stadium.
"Das ist das erste Mal, dass ich aus dem Flüchtlingscamp rausgekommen bin", sagte Raghda, die neben zwei ihrer jungen Freundinnen saß. "Ich könnte abheben vor Glück."
"Als ich mit dem Bus hierher kam, dachte ich daran, wie sehr ich dieses Spiel genießen würde", so Haneen. "Ich werde das niemals in meinem Leben vergessen."
Es war nicht mehr als eine Geste und nur ein Tag unter vielen in ihrem Leben, aber für die Mädchen war es wichtig, an der FIFA U-17-Frauen-Weltmeisterschaft teilhaben zu können, junge Frauen zu sehen, wie sie ihr Länderspiel bestreiten, zu jubeln und zu singen und für 90 Minuten die Probleme zu vergessen, die auf ihren jungen Schultern lasten.
"Freiheit und Frieden, das ist alles, was ich will", so Haneen weiter zu FIFA.com. Laila unterbrach ihre Zwillingsschwester und wollte einen eigenen Wunsch loswerden: "Ich träume davon, eines Tages Fussballspielerin zu werden. Ich will Kapitän des Teams sein und so wie die Mädchen auf dem Platz spielen."
"Diese Kinder haben alles verloren, sie sind Tag für Tag unter schwierigsten Bedingungen im Flüchtlingslager eingepfercht. Aber der heutige Tag ist anders. Heute sind sie Fussballfans wie alle anderen hier im Stadion und jubeln. Heute können sie sich frei fühlen", so Honey Thaljieh, die FIFA-Leiterin für Unternehmenskommunikation. Als Mitbegründerin und Spielführerin von Palästinas erster Frauen-Fussballnationalmannschaft kennt Honey die Hürden für junge Frauen im Nahen Osten nur zu gut. Sie weiß auch, welch gewichtige Auswirkungen Sport auf Wesen und Zukunft junger Mädchen haben kann. "Vom Fussball geht die Kraft der Integration aus. Er kann Menschen ungeachtet der Umstände zusammenführen. Deshalb lautet unsere Botschaft unmissverständlich: Fussball ist für alle da!", so Honey weiter.
Damit sich der Fussball im Königreich verbreitet, gaben die FIFA und der jordanische Fussballverband am Tag der Eröffnung bekannt, für jedes während des Turniers geschossene Tor 150 Fussbälle für benachteiligte Gemeinden im ganzen Land zu spenden. Unterstützt wird die Gemeinschaftsinitiative der FIFA und des jordanischen Fussballverbands vom Asian Football Development Project. Sie soll einfach einen ersten Schritt darstellen – allen, die spielen wollen, wenigstens einen Ball zur Verfügung zu stellen.
Die Vorbereitungen, das soziale Engagement, die Investitionen in Einrichtungen: Die Bemühungen des Weltfussballverbands und des hauptsächlich aus Jordanierinnen zusammengesetzten Lokalen Organisationskomitees haben etwas in Gang gesetzt. Es soll der Anfang sein für etwas, von dem der jordanische Verband und die FIFA glauben, dass es ein nachhaltiges, reiches Vermächtnis in der Region wird, welches die Zukunft des Fussballs für alle Männer und Frauen in Jordanien und dem Nahen Osten prägt.