Im Sommer 2006 erlebte Hamdi Al-Kadri einige der schönsten Monate seines Lebens, als der syrische Schiedsrichter bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ in Deutschland im Einsatz war. Nun, zehn Jahre später, befindet sich der heute 51-Jährige wieder im Land des aktuellen FIFA-Weltmeisters. Der Krieg zwang ihn, seine Heimat zu verlassen, doch das Schiedsrichterwesen hilft ihm nun, in seinem neuen Zuhause Fuß zu fassen.
"Es ist so schön, dass ich hier pfeifen darf", meint der Unparteiische im exklusiven Gespräch mit FIFA.com. Gemeinsam mit seiner Frau und seinen vier Kindern wohnt er mittlerweile in der Nähe von Nürnberg. Hilfe bei der Integration bekam die Familie dabei von Anfang an von der ortsansässigen Gudrun Baars.
Sie war es auch, die den Kontakt zum hiesigen Fussballverein herstellte und diesem mitteilte, dass sich ein ehemaliger Schiedsrichter auf Weltniveau in der Gegend befindet. Die Verantwortlichen vom SV Postbauer waren von der Idee begeistert, Al-Kadri als Schiedsrichter zu melden. "Wir mussten zuerst herausfinden, ob er eine neue Lizenz benötigt", erklärt Oliver Johannes, der Schiedsrichter-Obmann des Bezirks, gegenüber FIFA.com.
"Aber der BFV hat das alles sehr toll und unbürokratisch über die Bühne gebracht. Wir konnten ihn sehr schnell einsetzen und jetzt ist er aktiv dabei", so der 41-Jährige weiter, der große Hoffnungen in seinen Neuzugang setzt. "Keiner unserer Schiedsrichter hat die Erfahrung, die er hat. Da kann er uns sicher unterstützen, um junge Leute heranzuführen."
Schritt in die Normalität Al-Kadris Frau und seine beiden älteren Kinder Leen und Ali kamen bereits im September 2015 nach Deutschland und nachdem der Familiennachzug bewilligt wurde, duften auch der Vater und die beiden jüngeren Sprösslinge, Israa und Hala, nachkommen. Am 23. August feierte die Familie ihre Wiedervereinigung. Bereits am 22. Oktober kam dann das nächste freudige Ereignis, als das Familienoberhaupt beim Spiel DJK SV Pilsach gegen DJK SV Oberwiesenacker zur Pfeife griff.
Neun Wochen lagen also nur zwischen seiner Ankunft in Bayern und seinem ersten Einsatz. Es war eine Partie in der A-Klasse, der drittuntersten Liga in Deutschland, aber für Al-Kadri war es ein bedeutender Moment. "Schiedsrichter zu sein macht mir sehr viel Spaß, und es ist ein Schritt in ein normales Leben", sagt er und die Freude in seiner Stimme wird spürbar. "Ohne die großartige Hilfe der Leute hier wäre es nicht möglich gewesen. Dafür bin ich sehr dankbar."
Treffen mit Beckenbauer Seit über 30 Jahren ist Al-Kadri mittlerweile dabei. "Früher habe ich selbst gespielt, doch mit 20 Jahren musste ich verletzungsbedingt aufhören. Ich habe dann überlegt, Trainer oder Schiedsrichter zu werden. Wenn ich früher Spiele im Fernsehen angeschaut habe, habe ich schon immer eher den Schiri beobachtet, als die Spieler."
Demnach war es klar, welchen Weg er gehen würde und die Schiedsrichterei ließ ihn in die große weite Welt erkunden. "Ich war unter anderem bei der U-17-WM 2001 in Trinidad und Tobago, bei der Klub-WM 2006 in Japan und bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking. Die WM 2006 war aber definitiv etwas ganz Besonderes", schwärmt er.
Aktuell wird er natürlich immer wieder an sein persönliches Sommermärchen erinnert, bei dem Al-Kadri bei drei Gruppenspielen als vierter Offizieller dabei war. "Es gab so viele tolle Erlebnisse bei dieser WM, die ich nie vergessen werde." Und dabei beschränkt er sich nicht nur auf Geschehnisse auf dem Rasen. "Ich hatte einmal mein Zimmer genau neben Franz Beckenbauer und plötzlich stand er vor mir. Das war unglaublich."
Fussball verbindet Nun heißt es aber nicht mehr WM und Spitzenfussball, sondern A-Klasse und Amateursport. Das stört den erfahrenen Schiedsrichter aber nicht. "Es ist das Land des Weltmeisters. Hier wird toller Fussball gespielt - egal in welcher Liga." War er in der Vergangenheit Spiele in Syrien gewohnt, ist er nun in ländlichen Gegenden in Bayern aktiv. Viele Spiele hat er zwar noch nicht geleitet, einige Unterschiede konnte er dennoch bereits bemerken.
"Spieler beschweren sich immer über den Schiedsrichter, aber hier verstehen sie öfter, warum ich gepfiffen habe. In Syrien habe ich in höheren Klassen gepfiffen, aber auch wenn ich hier in niedrigeren Klassen bin, verstehen die Spieler die Regeln besser", grinst Al-Kadri.
Gibt es eigentlich sprachliche Probleme? "Fussball versteht man überall. Ich gebe klare Zeichen, die alle verstehen." Dennoch besucht er fleißig den Sprachunterricht und lernt Deutsch. Denn der Fussball soll nur der erste Weg zur kompletten Integration sein.
Die Familie Al-Kadri hat schwere Zeiten hinter sich, aber in Deutschland haben sie eine neue Heimat gefunden und fühlen sich hier wohl. Zum einen, weil sie von den Leuten gut aufgenommen wurden und zum anderen, weil es Vater Hamdi gelang, dank des Fussballs Brücken zu schlagen.